Gitarre & Bass (1997)

From Allan Holdsworth Information Center
Revision as of 20:01, 21 September 2023 by Per (talk | contribs)

GB 1997 Genie mit zweifeln

Über zweieinhalb Jahre ist es her, als in dieser Zeitschrift das wahrscheinlich umfangreichste Interview stattfand, das Allan Holdsworth je gegeben hat. Zwölf Seiten Text können und müssen wir diesmal nicht bieten, dafür aber einige interessante, schöne und eher nachdenklich machende Neuigkeiten, von einem der wichtigsten Gitarristen der letzten drei Jahrzehnte. Wir trafen uns Mitte März in München, wo Holdsworth zusammen mit dem Bassisten Dave Carpenter und Drummer Gary Novak im Jazz Club des Hotels Bayerischer Hof auftrat. Und natürlich sollte es beim Interview am Nachmittag um ,None Too Soon‘, Allans neues Album, gehen. Hierzu einige vorab Informationen: Zusammen mit Gordon Beck (p), Gary Willis (b) und Kirk Covington (dr) hat sich Holdsworth ungewohnt erweise zur einen Hälfte an Standardkompositionen, zur anderen an Werken seines Pianisten versucht, die eine Art von Mittelachse im Album-Ablauf bilden. Was der Legato-Gitarrist nun aus Coltranes ,Countdown‘, Django Reinhardts ,Nuages‘, Bill Evans’ ,Very Early‘, Jacques Cousteaus ,How Deep Is The Ocean‘ und der frühen BritPop/Ethno-Nummer ,Norwegian Wood‘ macht, ist einfach fantastisch. Nach dem faszinierend konstruiert wirkenden Album ,Hard Hat Area‘, mit seiner eigenartigen, eher europäisch orientierten Atmosphäre, swingt und bopt sich Holdsworth hier so erfrischend und lebendig durch das genannte Themenmaterial, dass man ihn fast nicht wiedererkennt – wären da nicht sein typischer Ton und eine Phrasierung, bei der man einen langen Atem braucht. Dieser Mensch ist bekanntermaßen unglaublich, eine absolute Ausnahmeerscheinung in positivster Hinsicht was sein musikalisch/gitarristisches Potential angeht, in negativer was seine umgekehrt proportionale bis praktisch nicht bestehende Relevanz im Business betrifft. Und auch zu diesem Thema äußerte sich Allan während des Gesprächs.

G&B: Trotz des für dich ungewöhnlichen Themenmaterials „Standards“ weiß man bei ,None Too Soon‘ nach wenigen Tönen, wer da Gitarre spielt. Deine Spielweise hat sich nicht verändert, dafür aber die Grundstimmung der Musik: Ich höre mehr Leben, Lockerheit, Offenheit und Humor. Was ist passiert?

Allan: Danke, das hört sich gut an; aber was sich verändert hat – ich weiß es nicht. Es war nicht meine Idee, dieses Album aufzunehmen. Man vermutete, dass nicht sehr viele Leute meine Musik verstehen, und daher könnten sie über diese bekannten Fremdkompositionen leichter Zugang zu den anderen Platten finden. Aus diesem Grund habe ich es aufgenommen. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich ,Countdown‘ oder ,Nuages‘ spiele – eine Harmonieverbindung ist eine Harmonieverbindung, da gibt es im Grunde keine Unterschiede im spielerischen Ansatz. Also lernte ich diese Stücke. Ich kannte kaum Standards; ganz am Anfang habe ich mal einige gespielt, als ich noch jung war, aber die hatte ich lange vergessen. Ja, und ansonsten habe ich genau das gemacht, was ich sonst auch tue. Ich habe also nicht plötzlich mit einer dicken Jazz-Gitarre gespielt, denn dann hätte es sich wahrscheinlich sehr konventionell angehört. Ich habe einfach gespielt. Was mir an dieser Produktion gar nicht gefiel, war, dass Gordon (Beck) auf einem „Plastik-Piano“ spielen musste, weil wir keinen Flügel in meinem Studio haben.

G&B: Was soll’s. Wahrscheinlich haben wir alle schon mehr schlecht aufgenommene Steinway-Grands gehört, als miese Digital Sounds.

Allan: Klar... (überlegt) Eigentlich macht es mir mehr Spaß, wenn ich meine eigene Musik spiele. Diese Musik gibt mir nicht besonders viel Freude, keine richtige Befriedigung. Es war natürlich schön, als wir das Album fertig hatten und es uns anhören konnten; denn es sind wirklich keine Sachen drauf, die ich absolut nicht mag. Aber diese Art von Musik möchte ich nicht unbedingt live spielen. Außerdem können wir in der Album-Besetzung auch kaum auf Tour gehen, da Gary (Willis) und Kirk (Covington) in Scott Hendersons Band spielen und wir relativ oft zur gleichen Zeit unterwegs wären. Daher habe ich dann eine neue Band zusammengestellt. Ich wollte schon etwas in diese neue Richtung gehen, aber dabei meine eigenen Kompositionen spielen. Jetzt habe ich einen Weg gefunden, mit viel Intensität zu spielen, aber nicht laut. Wir sind eine sehr softe Band.

G&B: Ich denke, dass du mit ,None Too Soon‘ nicht nur neue Fans finden wirst; diese Platte wird auch einige alte Anhänger deiner Musik wachrütteln.

Allan: Ja, das kann sein! Ich wollte einfach was ausprobieren. Und vielleicht gibt es ja ein zweites Album dieser Art, allerdings nicht in nächster Zeit. Zuerst möchte ich mich wieder mit meiner eigenen Musik befassen... (überlegt) Ich hatte so viel Ärger mit diesem Album: Es kam bereits vor über zwei Jahren in Japan raus, und kurz danach sollte es auch weltweit erscheinen. Aber dann hat dieser Typ in Amerika entschieden, dass es weder in den USA noch in Europa erscheinen sollte – also nur in Japan! Das ganze letzte Jahr, das ganze letzte Jahr habe ich dafür gekämpft, die Rechte zurückzubekommen. Die habe ich anschließend Restless-Records neu vergeben, weil sie auch die Rechte an meinen anderen Alben haben; sie haben die Platte dann veröffentlicht. Als Label haben sie „AH Records“ angegeben, aber das ist wirklich nur ein Logo, denn ich habe kein eigenes Label. Es ging darum, für meine Musik eine Nische in ihrem Repertoire zu schaffen. Natürlich würde ich auch gerne selbst produzieren und verwerten, aber dafür habe ich leider nicht das Geld; ich habe nicht genug Geld, um irgendwelche Leute und ein großes Studio zu bezahlen. Daher haben wir eben alles bei mir zu Hause gemacht. Das war auch eine sehr gemütliche, einfache Sache... Wir haben vielleicht vier Tage für die Aufnahmen gebraucht...

G&B: Und jetzt spielst du live in Trio-Besetzung. Wirst du mit der neuen Band auch demnächst ins Studio gehen?

Allan: Ja, das will ich auf jeden Fall tun, aber nicht vor Ende des Jahres, denke ich. Jetzt spielen wir erst mal in Japan, dann noch mal in Europa und anschließend auch in den USA. Danach könnte dann etwas passieren. Vielleicht klappt es ja irgendwann noch einmal, dass ich jedes Jahr ein Album rausbringe. Eigentlich hätte ich ja schon lange wieder was Neues gemacht, aber es gab einfach keinen Grund dafür, weil ich ,None Too Soon‘ ja noch nicht mal so veröffentlichen konnte wie ich wollte. Das war so verrückt!

G&B: Was bei ,None Too Soon‘ noch auffällt, ist, dass du wieder die SynthAxe spielst.

Allan: Ja, das stimmt...

G&B: Vor drei Jahren warst du aber ziemlich sicher, dass du nie wieder...

Allan: (nickt) Ich hatte sie sogar verkauft. Aber dann rief mich irgendwann ein Freund an, und er wollte eine SynthAxe verkaufen. Er ließ sie dann eine Zeitlang bei mir zu Hause, und schließlich tauschte ich sie gegen zwei meiner Gitarren ein. Die meisten Tracks dieses Albums habe ich allerdings auf einer Steinberger-Gitarre eingespielt. Die Carvin, die ich heute spiele, war zum Zeitpunkt der Aufnahmen noch gar nicht gebaut; sonst hätte ich sie mit Sicherheit eingesetzt.

G&B: In den Liner Notes dankst du Alex & Sasha von Gorky Park; ist das die russische Rock-Band?

Allan: Ja, sie sind es. Die Beiden haben mir eine Menge Equipment geliehen.

G&B: Und du dankst den Stone Temple Pilots...

Allan: Oh ja, die Stone Temple Pilots. Vor knapp zwei Jahren wurde meine SynthAxe gestohlen, das war bei einem Gig in einem Club in L.A. Dean DeLeo, der Gitarrist der Pilots, ist ein großer Fan, und er hörte in einem Musikladen davon. Sie haben dann irgendwo eine gebrauchte SynthAxe aufgetrieben, sie haben tatsächlich eine aufgetrieben. Und dann kamen sie bei mir vorbei, und schenkten sie mir. Unglaublich! Ist das nicht wunderbar? Sie sind dafür verantwortlich, dass ich weiter mit einem solchen Instrument spielen kann – und dafür bin ich ihnen sehr dankbar... (überlegt)

G&B: Was deine Live-Aktivitäten in Europa angeht, sah es in den letzten Jahren nicht so besonders gut aus...

Allan: Weißt du, das Problem ist folgendes: Es sieht so aus, als hätten wir ein Publikum, auch in Deutschland, Österreich, Schweiz; und die Leute wollen uns auch hier gerne sehen. Die Veranstalter, die zwischen mir und dem Publikum stehen, sehen das nicht so, und sie wollen uns anscheinend nicht nach Europa bringen. Das ist so ähnlich, wie bei der Geschichte mit meinem Album, das nicht rauskommen sollte: Es gibt anscheinend immer Leute, die auch mal etwas verhindern möchten...

G&B: Vor zwei Jahren war aber schon mal eine Deutschland-Tour für dich gebucht, die dann letztendlich doch nicht stattfand.

Allan: Mein Manager hat das gecancelt. Er hat uns gesagt, wir würden dabei kein Geld verdienen... Er sagt manchmal: „Wenn ihr da spielt, verliert ihr Geld.“ Und dann lässt er uns eben nicht gehen. Inzwischen kommen wir finanziell besser zurecht, weil wir nur noch zu dritt spielen, und auch keinen eigenen Sound-Mann dabeihaben. Das funktioniert schon besser...

G&B: Was machst du neben deinem Job? Fährst du noch viel Fahrrad?

Allan: Ja, ich fahre noch, aber da muss ich erst wieder Kondition bekommen. Mein anderes Hobby kennst du ja: Im vergangenen Jahr haben wir eine neue Bierzapfanlage entwickelt, und wir waren damit auch schon in England, um sie einigen großen Brauereien vorzustellen. Und die haben Interesse daran! (Herr Holdsworth strahlt) Mit dieser Anlage kann man aus brauchbarem amerikanischem Bier sogar etwas ähnliches, wie ein qualitativ hochwertiges nordenglisches Bier, mit leckerem, cremigem Schaum zaubern. Daran habe ich im letzten Jahr gearbeitet, und daher also nichts verdient – bisher. (ernst) Und wenn Dave Carpenter, der Bassist mit dem ich jetzt spiele, nicht gewesen wäre, dann würde ich heute überhaupt nicht hier sitzen. Nach diesem ganzen Ärger mit der Platte, hatte ich die Lust an allem verloren. An allem und auch an der Musik. Ich wollte nichts mehr damit zu tun haben. Dann traf ich Dave, und er hat mich aus meinem Verlies gezwungen. Sonst hätte ich wohl nicht mehr weitergemacht...

Technik

Als erstes interessiert sich Allan für das Danelectro-Effektgerät, das er auf dem Titel der April-Ausgabe von Gitarre & Bass entdeckt. „Vielleicht sollte ich mir so etwas zulegen“, überlegt er. „Manchmal würde ich am liebsten nur mit ein paar Bodeneffekten spielen.“ Auf die Frage, ob er in letzter Zeit neues Equipment ausprobiert habe, antwortete Holdsworth mit einem klaren „No“. Beim Soundcheck war dann aber doch die ein oder andere Kleinigkeit zu entdecken, die so alt nicht sein konnte. Seine Hauptgitarre ist seit einiger Zeit eine Carvin H1T mit einem einzelnen Humbucker-Pickup (dem von Holdsworth designten H22) in Stegposition und einem „Wilkinson Tremolo“-Vibrato-System. Das Besondere an diesem Instrument ist der Eschen-Body in „semihollow“-Bauweise, das Gerät fällt demnach relativ leicht aus. Der Hals der Gitarre ist allerdings eher kräftig, auf dem Ebony-Griffbrett sitzen 24 „extra large“-Jumbo-Bundstäbchen. Holdsworth weiter: „Ich habe mit zwei verschiedenen Amps aufgenommen: einem Dual Rectifier von Mesa und einem Sovtek Mig-50, der hat nur rund 300 Dollar gekostet. Der Sovtek ist ganz großartig für die Sounds mit nicht zu viel Distortion, z. B. bei ,Nuages‘. Ich habe ihn für alle softeren Nummern eingesetzt, bei den härteren Stücken ist der Rectifier zu hören. Und dazu habe ich eine ganze Menge verschiedener Speaker und Cabinets ausprobiert, mit diesen Dingen habe ich wirklich experimentiert.“ Auf und in Allans Live-Rack befinden sich eine Menge verschiedenster Geräte, von denen beim Münchner Gig allerdings einige ausgefallen waren. Da war der Gepäckservice einer Airline wohl etwas grob bei der Arbeit. Überwiegend verwendet Holdsworth bekannte Standardteile (mehrere Rocktron Intellifex, MXR Noise Gate/Line Driver/Limiter, TC Electronics Blue Star/Line Driver/Parametric EQ), aber auch Selbstgebautes (z. B. ein „Power Amp to Line Level Interface“, das den Output des Rectifier-Tops auf Line Level runterfährt und dann, nach eventueller Effektbearbeitung, auf eine Carvin-F-300- Stereo-Endstufe in Verbindung mit zwei 2 × 12"-Boxen von Carvin gibt). Was er genau wozu einsetzt, das weiß nur der Meister selbst, und während des Gigs hatte ich leider keine Gelegenheit, zu seinen Füßen zu hocken, und die Schaltaktivitäten zu jedem Song zu dokumentieren. Entscheidend ist sowieso, was Holdsworth mit seinen Händen macht – denn einzig und allein hier liegt das Geheimnis seiner Musik, mal abgesehen von dem, was in seinem großen Kopf vorgeht. Aber was liegt da auf dem Boden, neben einem Kanalumschalter und drei Volumen-Pedalen? Ein Roland VG 8, das geniale Gerät, das niemand haben wollte, obwohl es die einzige revolutionäre Entwicklung seit Jahren im Gitarren-Business ist – einmal abgesehen von den ganz neuen Digital-Amps. Da hat der Meister sich wohl doch mal mit der ein oder anderen Innovation befasst. Die Sounds des VG 8 spielte Holdsworth am Interview-Abend über zwei neue Roland-Combos, und sie werden eher für die speziellen Farben eingesetzt, z. B. wenn etwas Acoustic-Edge über einem Chorus-Sound gefragt ist, oder wenn das ein oder andere Thema (das er sonst eventuell mit der SynthAxe spielen würde) klanglich etwas ausgefallener gefahren werden soll. Seine cremigen Lead Sounds erzeugt der Gitarrist weiterhin überwiegend mit dem Rectifier-Röhren-Top (s. o.). Fazit: Allan Holdsworth ist immer noch kein Technokrat, und demnach machen bei diesem stilistisch einzigartigen Ausnahmemusiker 19"-Listen auch keinen Sinn. Platten kaufen, anhören, Interview in G&B 11/94 lesen, nächstes AH-Konzert besuchen und anschließend beim Rausgehen dezent Mund, Augen und Ohren wieder auf das normale Maß zurückfahren. Erst dann weißt du mehr. Sounds & Facts • Nach der Rezension in G&B 01/97 kamen immer wieder Anrufe und Briefe mit dem Hilferuf: „Ich bekomme die CD nirgends...!!!“ Gitarre & Bass – die tun Was: Im G&B-Shop in dieser Ausgabe kann man die aktuelle Allan-Holdsworth-CD ,None Too Soon‘ und auch sein 1992 bei REH erschienenes Lehrvideo bestellen. • Das anfangs erwähnte Interview mit Allan Holdsworth kann man in Gitarre & Bass 11/94 nachlesen; das Heft kann, soweit im Original vorrätig, sonst als Kopie, bei der Redaktion bestellt werden. T/F: 02236 – 96217 0/5 • Eine sehr informative inoffizielle Holdsworth-Website findet man unter: http://www.enter.net/~paulkohler/ • Offiziell und in direktem Kontakt mit Allan & Claire Holdsworth erstellt wurde die folgende Website: http://www.addimension.com/atav/docs/ home.html ■ Projekte? Und es kursieren noch einige (Internet-) Gerüchte über weitere Produktionen, an denen Allan beteiligt war, und die vielleicht sogar einmal veröffentlicht werden: • Holdsworth hat angeblich Ende vergangenen Jahres mit einigen Kollegen der 1985er Produktion ,Soma‘ wieder zusammengearbeitet. Und dabei soll ein modernes Rock-Album („Neverwasneverwillbe – No Title Available“) entstanden sein, das vielleicht noch in diesem Jahr erscheint. Erste Statements von Beteiligten klingen vielversprechend: „infectious, funky, pocket-groove metal and acid new rage, and a major new showcase for Allan’s rock sensibilities” oder „...kinda Mahavishnu-meets-Alice-In-Chains...” Mal gespannt abwarten. • Angeblich wird Holdsworth auch demnächst wieder zusammen mit seinen Rocker Freunden von Gorky Park zu hören sein, als Studio-Gast. • Steve Hunt, der Keyboarder von Holdsworth’s Album ,Hard Hat Area‘ hat gerade seine erste Solo-CD fertiggestellt. Allan spielt Gitarre und SynthAxe bei zwei Stücken, weitere Gäste sind der isländische Bassist Skuli Sverrisson und Drummer Chad Wackerman.

ChatGPT version, sept 2023