Avantgarde Figur (Original)

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Allan Holdsworth, Avantgarde Figur

See also Avantgarde Figur (Musiker 1988)

MUSIKER Magazin, ohne Datum

Andreas Vahsen


Große Posen sind nicht sein Ding. Da, wo andere sich gern ins rechte Lucht rücken, hält er sich eher rück. Trotzdem gehört er zu den ganz Großen. Fällt sein Name, erblassen die sogenannten Guitar-Heroes. Seine innovativen Spieltechniken, seine Schnelligkeit und ein Mutz unkonventionellen Soundkreationen haben Alan Holdsworth zur führenden Avantgarde Figur der Gitarrenszene gemacht. Über seinen Hang zur Perfektion und die damit verbundenen Schwierigkeiten berichtet er im folgenden Gespräch mit MUSIKER.

MM: Allan, du bist einer der wenigen, die sich seit geraumer Zeit mit dem Thema Gitarren-Synthesizer beschäftigen. Was hat dich dazu gebracht, mit der Synthaxe zu arbeiten?

AH: Na ja, ich habe mich schon immer für Gitarren-Synthesizer interessiert, es hatte nur nie etwas funktioniert. Die Art, wie frühere Gitarren-Controller konzipiert waren, kommt einem richtig verrückt vor. Die bauten all ihre komischen Pitch-to-Voltage-Gitarren, oder Pitch to ‘‘Glitch’‘, wie ich sie nenne. Es würde keine Synthesizer-Spieler auf der Welt geben, wenn Keyboards nach dem Pitch-to-Voltage-Prinzip aufgebaut wären. Diese Art zu spielen ist ziemlich seltsam. Es gibt viele Gitarristen, die wollen einfach einen zusätzlichen Tonabnehmer, mit dem sie einen Synthesizer ansteuern können. Die wollen ihre Gitarre spielen, und dann ab und zu den Synthie als Effekt einsetzen. Ich habe es nie so betrachtet. Ich sehe sie als zwei getrennte Dinge an, genau wie einen Flügel und einen Synthesizer. Für mich ist eine elektrische Gitarre in gewisser Hinsicht ein sehr akustisches Instrument - die Verbindung schwingender Saiten mit einem Klangkörper etc. Sie basiert immer noch auf diesen Eigenschaften, wohingegen die Synthaxe das nicht tut. Es ist eine vollkommen andere Sache.

MM: Ich bin sicher, du kennst die Idee, hohe E-Saiten auf all diese Spannungseinheiten (Pitch to Voltage) aufzuziehen.  

AH: Sicher, aber dadurch wird man sich der Möglichkeit, Gitarre zu spielen, berauben. Man hat dann eine Gitarre mit sechs H-Saiten drauf, oder was auch immer und wird logischerweise nicht mehr den eigentlichen Gitarrensound verwenden können, weil die Gitarre eben sechs H-Saiten hat. Außerdem hat man dann noch dieses Stimm-Problem, und ich finde, das ist eine schreckliche Qual. Du weißt, Gitarren zu stimmen ist ohnehin mühsam, aber die Gitarre auf einen Synthesizer zu kalibrieren, ist ein Witz. Es wäre dasselbe, wenn ein Keyboard-Spieler jeden Ton stimmen und intonieren müßte. Ich denke, wenn man einen MIDI-Controller verwendet, sollte das nicht vorkommen. Bei der Synthaxe ist das gut gelöst, sie bleibt stets in der Stimmung. Als wir das letzte Mal nach Frankfurt kamen, hatte ich die Synthaxe gerade bekommen und 'ne Menge Probleme damit. Nicht so viele Probleme mit dem Gerät an sich, aber Probleme, sie in einer Live-Situation zu kontrollieren. Ich mußte alle Patches manuell abrufen, und das war echt schwierig. Etwas, worüber man nicht nachdenken möchte, wenn man live spielt. Danach kam Synthaxe mit einer Weiterentwicklung heraus.

MM: Step-on-Automation...

AH: Dies berücksichtigte nun alles, denn vorher war es ein Alptraum. Live jedenfalls. Im Studio arbeitete sie gut, da ich nur einen Sound gleichzeitig benutzte. Zuerst spielte ich einen Akkord-Flächen, und dann ein Solo. Jetzt kann ich sie auch live gebrauchen, denn sie ist viel einfacher kontrollierbar.

MM: Wie bist du zu deiner Spielweise gelangt? Wenn ich sie sehe, erkenne ich keinen Standard-Fingersatz oder überhaupt irgend etwas wieder. Erschien sie dir plötzlich, oder entwickelte sie sich allmählich?

AH: Sie entwickelte sich ganz allmählich, denn ich wollte nie wirklich Gitarre spielen. Natürlich mag ich die Gitarre heute, schon deswegen, weil sie das einzige Instrument ist, das ich wirklich beherrsche. Ursprünglich aber wollte ich ein Blasinstrument spielen.

MM: Und dein Stil entstand, weil du bläserartig spielen wolltest?

AH: Gut, ich glaubte eben, daß der Synthesizer so ist, wie ein variables Instrument – eben wie ein Blasinstrument. Ich glaube, daß diese Dinger im allgemeinen mit solch guten Controllern angesteuert werden können, so daß diese als Musikinstrumente vollkommen akzeptabel sind. Was ich wollte, ist Musik-Machen, in der Lage sein, mich dem anzunähern, was ich wirklich in meinem Kopf hören kann, Musik... mehr als ich auf der Gitarre konnte. Wie gesagt, ursprünglich wollte ich Saxophonist werden, aber ich konnte damals keines bekommen. Die Dinger waren sehr teuer, Mein Vater kaufte dann eine Gitarre von meinem Onkel und ließ sie nur rumliegen. Er unternahm nicht die geringste Anstrengung, mein Interesse zu wecken. Nach sechs Monaten oder mehr fing ich von selbst an, mich dafür zu interessieren. Ich begann zu üben, eher als zu spielen. Dann packte mich die Neugier, und ich fing an, damit zu arbeiten. Ich glaube, seitdem habe ich nur noch an Musik gedacht. Ich achte nicht wirklich auf die Gitarre, oder darauf, wie sie funktioniert, was man normalerweise tun würde. Beispielsweise war mein Vater ein großer Musiklehrer, der ohne besondere Vorkenntnisse das Prinzip der Gitarre mit ihren Akkordstrukturen, Lagen etc. schnell durchschaut hatte und nach kurzer Zeit sogar Unterricht geben konnte. Aber ich wollte die Dinge einfach anders machen. Letztendlich war alles, was ich wollte, die Fähigkeit zu improvisieren. Improvisation ist das größte und gleichzeitig auch schwierigste für mich. Sie ist etwas, was ich beherrschen möchte. Deshalb wollte ich verschiedene Wege finden, über jede beliebige Akkordfolge spielen zu können, ohne irgendeine Formel zu benutzen. Ohne zu sagen, wenn du diesem Akkord folgst, mußt du jenem folgen, oder, falls du diese Substitution verwendest, mußt du es auf diese Art machen. Ich wollte in der Lage sein, überall die gleichen Akkorde zu spielen.

MM: Du verwendest wirklich ungewöhnliche Fingersätze, mit einer immensen Anzahl von Überstreckungen.

AH: Ich spiele so wegen des Klangs. Ich erziele nicht den gewünschten Sound, wenn ich auf eine andere Saite wechsle und die betreffende Note auf ihr anschlage. Deshalb spiele ich dieselbe Note auf der vorherigen Saite. Anstatt die Gitarre als Muster von einer Seite des Halses zur anderen zu betrachten, betrachte ich den Gitarren-Hals als ein Ganzes. Mehr von oben nach unten. Wenn Akkorde sich ändern, versuche ich mir vorzustellen, wie sich die Positionen der Noten verschieben. Es erscheint mir, als ob sich das ganze Griffbrett ändern würde. Ich versuche von bestimmten Richtungen oder Positionen auf der Gitarre wegzukommen, aber in gewisser Hinsicht ist das sehr schwierig, denn die Gitarre ist visuell...

MM: Es sieht tatsächlich ganz anders aus, und gewisse Klänge höre ich dich gar nicht spielen. Du benutzt eine Menge alterierter Sounds, jedoch haben sie alle eine Dur-Qualität. Z.B. verwendest du scheinbar nicht die Standard-Modi der Melodisch-Moll-Skala.

AH: Wenn ich über eine Akkordfolge spiele, versuche ich melodisch zu spielen, eher, als an eine Skala zu denken, die zu den Akkorden paßt. Ich denke darüber nach, welche Skalen ich dieser überlagern kann. Es ist, als ob man eine Farbe einer anderen hinzufügt, um eine neue Farbe daraus zu machen.

MM: Du spielst ein Ibanez-Allan-Holdsworth-Modell?

AH: Ja, bis vor kurzem, als ich die Steinberger entdeckte, Ich hatte Probleme mit Ibanez. Die Ibanez-Gitarre, die man mir gebaut hat, war wirklich fantastisch. Ich bat sie darum, mir eine weitere zu bauen. Sie bauten fünf oder sechs Prototypen und bekamen sie nicht richtig hin. Sie änderten sie immer wieder. Schließlich wollten sie die Gitarre, die ich spielte. Und dann schaute ich mir diese Allan-Holdsworth-Gitarre an. Sie war überhaupt nicht wie meine. Sie war wie eine vollkommen andere Gitarre. Ich vermute, daß ich vielleicht 15 oder 20 verschiedene Ibanez-A. H.-Modelle gespielt habe, und nicht eine einzige war wie meine.  

MM: In der Art und Weise, wie sie gebaut waren?

AH: Ja, in der Bauweise und in bestimmten Dingen, die ich sehr wichtig finde. Z. B. betone ich, den Saitenabstand Gibson-mäßig zu halten, was bei den Modellen, die ich ausprobierte, nicht der Fall war. Die Abstände und die Tonabnehmer waren geringfügig breiter, und die Griffbretter waren geringfügig schmaler. All die Dinge, bei denen ich eine Ausgewogenheit zu erzielen versuchte – wie bei meiner Gitarre. Sie ist toll. Ebenfalls wichtig war das Gewicht. Meine Gitarre ist sehr leicht. Der Korpus wiegt weniger als drei Pfund. All die Ibanez-Gitarren, die ich in den Geschäften vorfand, waren schwerer. Letztes Jahr, als ich auf der NAMM-Show in Chicago war, spielte ich die Steinberger zum ersten Mal. Ich glaubte nicht, daß ich sie mögen würde. Sie war ganz aus Plastik und ich hatte bisher immer sehr viel Wert auf bestimmte Holzarten gelegt. Aber sie war fantastisch. Seitdem spiele ich die Steinberger,

MM: Welches Equipment benutzt du derzeit? Welche Art von Verstärkern?

AH: Die Ausrüstung, die ich benutze, ist gemietet. Ich verwende zwei Roland Jazz-Chorus-Verstärker für den klaren Sound, und zwei Marshall 1 x 12 Cabinett für den Leadsound. Außerdem habe ich ein Gitarren-Rack mitgebracht, mit ‘‘Pearce’‘-Verstärkern. Sie sind aus Buffalo und wirklich ausgezeichnete Verstärker. ‘‘Solid state", sozusagen. Die Synthaxe und die Rhythmus-Gitarre laufen über dasselbe Teil, was etwas unglücklich ist. Die Synthaxe klingt wirklich gut über Full-Range-Equipment. So ist es eher ein Kompromiß. In der Tat klingt die Gitarre nicht so gut, wie sie sollte und der Synthie nicht so gut, wie er könnte. Ich denke darüber nach, später vielleicht eine Tour zu machen, bei der ich die Gitarre gar nicht spiele und einfach nur die Synthaxe mit der richtigen Ausrüstung verwende. Ich bekomme den gewünschten Sound mit der Synthaxe allein, da ich dann völlig andere Sachen verwende. Somit ist es wirklich ein Problem etwas zu finden, das mit beiden funktioniert. Dann würde ich keine drei Anlagen haben, eine für Lead, eine für Rhythmus und eine für die Synthaxe.  

MM: Wo lebst du zur Zeit?

AH: Südlich von Los Angeles, in Orange County, Justin.

MM: Was hat dich dazu bewegt, in die Vereinigten Staaten zu gehen?

AH: In England war ich nicht in der Lage, als Musiker zu überleben. Eine Menge Leute sind es nicht. Das ist nichts Neues. Meine Frau unterstützte mich. Es wurde wirklich übel. Ich hatte zu entscheiden, ob ich einen dauerhaften Job annehmen würde - wie z. B. in einem Musikgeschäft Verstärker reparieren oder Gitarren zusammenbauen -, oder ob ich einfach versuchen würde, weiterzuspielen. Na ja, ich sah fortwährend Artikel über mich in amerikanischen Musikzeitschriften, und wir entschieden uns, es einfach mal zu versuchen. Es endete damit, daß wir alles verkauften, um die Überfahrt bezahlen zu können. Ich hatte nicht mal eine Gitarre. Als wir in Amerika ankamen, fingen wir an zu arbeiten und konnten uns gerade so über Wasser halten. Es war nicht toll, aber es war o.k., denn die Leute dort waren viel empfänglicher für die Art, wie wir spielten. Ich konnte das tun, was ich tun wollte, in der Hinsicht war es gut. Ich spielte das, was ich spielen wollte und konnte davon leben. Es wurde nochmals hart im letzten Jahr. Wir verkauften wieder viel Equipment. Wenn ich Geld habe, kaufe ich mir Equipment und wenn ich keins habe, verkaufe ich alles wieder. So geht's immer ‘‘round and round". Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich bin an einem seltsamen Punkt in meinem Leben angelangt. Ich fühle mich irgendwie verloren. Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Musik weitermachen soll, oder ob ich nicht doch einen anderen Job annehme, vielleicht bei einer Gitarrenfirma. Seit vier oder fünf Jahren spiele ich hauptsächlich mit der gleichen Band -- wobei die Begleitmusiker zum Teil wechselten: Gary Husband am Schlagzeug und Chad und Jimmy Johnson. Ich weiß zwar genau, was ich musikalisch machen will, aber damit ist es schwierig, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Das letzte Album z. B. fand ich toll, aber niemand weiß überhaupt, daß es diese Platte gibt. Bei der neuen wird das gleiche geschehen. Eigentlich bin ich mit meiner Entwicklung in bezug auf die Synthaxe sehr zufrieden. Im Vergleich zur ersten Platte bin ich sehr viel weiter. Aber ich fürchte, das sie wieder untergehen wird. Da fragt man sich natürlich: warum? Hat es überhaupt Sinn etwas zu tun, wenn's niemand hören kann. Erst recht nicht, wenn du's nicht mal schaffst, deine Familie zu ernähren oder die Miete zu bezahlen.