Individualist & Musiker (Gitarre & Bass 1994)

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Allan Holdsworth Individualist & Musiker

Gitarre & Bass, November 1994

By Lothar Trampert

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Machine translated version here: Individualist & Musician (Gitarre & Bass 1994)

(p. 58)

Würde man eine Top Ten der innovativsten E-Gitarristen seit der Entwicklung dieses Instruments erstellen, dann hätte Allan Holdsworth mit Sicherheit eine der vorderen Charts-Positionen verdient. Denn, mal ehrlich gesagt, so viele Musiker sind es nun auch nicht gewesen, die auf ihren sechs Saiten gleichzeitig eine individuelle Spiel weise, neue klangliche Konzepte und eindeutigen Wiedererkennungswert verwirklichen konnten.

A. Holdsworth wurde am 6. August 1948 in Yorkshire, England geboren und wuchs in Bradford, einer Industriestadt des Nordens, auf. Sein Vater Sam war Pianist, verdiente sein Geld jedoch überwiegend als Verkäufer in einem Warenhaus. Allan selbst hatte nie eine formale musikalische Ausbildung, seine spätere Entwicklung wurde vor allem durch die Musik geprägt, die er in seinem Elternhaus hörte: Big-Band-Jazz von Benny Goodman und Artie Shaw, aber auch Platten des Trompeters Bix Beiderbecke oder des Saxophonisten und Bebop-Giganten Charlie Parker gehörten zur Sammlung seines Vaters. Neben weiteren Bläsern – u.a. John Coltrane und Julian „Cannonball“ Adderley – war es anfangs nur ein Gitarrist, der Allan interessierte: Charlie Christian. Aufgrund seiner Vorliebe für Saxophonisten griff Allan dann auch erst relativ spät, im Alter von 17 Jahren, zur Gitarre. Mehr zu seiner Weiteren künstlerischen Entwicklung im folgenden Interview.

Allan Holdsworth lebt heute mit seiner Frau und drei Kindern im bekannterweise regenarmen Süden Kaliforniens. Neben seinem Haus hat er sich in einer Garage ein kleines Studio eingerichtet, das sich nach seinen eigenen Angaben allerdings seit Jahren immer noch im Aufbau befindet – gutes Equipment kostet bekanntermaßen einiges, und Allan hat trotz seines hohen Ansehens in Musikerkreisen nie zu denen gehört, die mehr verdienten als sie zum Leben brauchten.


(next page) Holdsworth ist einerseits ein sehr zurückhaltender, fast Scheuer Mensch, dabei aber voll Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. „Ruf mich an, bevor Du losfährst“, meinte er am Telefon, „ich hole Dich dann vom Bahnhof ab.“ Gesagt getan – und zwei Stunden später saßen wir in seinem Studio zwischen Gitarren, Amps und Effektgeräten. Es konnte losgehen.


G&B: Wie kam es dazu, daß Du vor einigen Jahren in die USA ausgewandert bist.

A.H.: Nachdem ich mit Bill Bruford gearbeitet hatte, das war ungefähr Ende der 70er Jahre, wollte ich endlich mal eine eigene Formation zusammenstellen. Ich war immer nur Mitglied von Bands anderer Musiker und plante nun mal meine Ideen zu verwirklichen, denn ich hatte auch schon eine Reihe Kompositionen in der Schublade. Damals traf ich den Schlagzeuger Gary Husband, und wir verstanden uns hervorragend. Wir suchten längere Zeit nach einem Bassisten und fanden schließlich Paul Carmichael. Dann hatten wir das Problem, keine richtigen Gigs zu bekommen und spielten meist nur in irgendwelchen Londoner Pubs, vor fünfzehn Leuten. Ein Freund von mir, der Sänger Paul Williams, lebte damals in Kalifornien, und er hatte uns über Mike Varney (heute Chef von Shrapnel Records, d. Verf.) drei Gigs besorgt. Mike war so eine Art Fan von uns, und er hatte einen Club-Besitzer in San Francisco überredet, uns Zu buchen. Für mich und die Band War das eine unglaubliche Sache, denn der Laden war voll! Jeden Abend kamen über 500 Leute dahin, und in London waren es vorher wirklich nur 15 gewesen. Ich verstand das zuerst überhaupt nicht, allerdings wurde mir klar, daß es Wohl trotz allem ein Publikum für unsere Musik gab. Und da ich damals meinen Namen auch gelegentlich in amerikanischen Magazinen gelesen hatte, beschloß ich in den USA zu bleiben. In England sah ich keine Möglichkeit mehr, als Musiker zu überleben; Wenn ich dageblieben wäre, hätte ich diesen Job sicherlich aufgegeben. Klar, ich hätte auch weiterhin Gitarre gespielt, aber eben nicht als Profi. Das war also der Grund für meinen Umzug.

G&B: Du hast in den letzten Jahren kaum Studio-Jobs neben Deinen eigenen Produktionen angenommen.

A.H.: Nein, auch zur Zeitmacheich überhaupt nichts in dieser Richtung.

G&B: Liegt Dir das grundsätzlich nicht oder mangelt es an Angeboten?

A.H.: Nein, ich will das nicht. Ich bin nicht gut darin, etwas zu tun, was mir andere Leute Vor schreiben. Ich wäre auch kein guter Soldat. Mir liegt es mehr, meine eigenen Sachen zu machen. Das ist natürlich nicht einfach, weilich kein Geld damit verdienen kann, Wenn ich nur an meiner Musik arbeite. Wenn wir eine Zeitlang auf Tour gehen können, dann ist das schon OK. Aber in den Monaten, die ich hier zu Hause verbringe, sieht es in finanzieller Hinsicht schon manchmal eher hart aus. Aber das ist in Ordnung. In diesen ganzen Jahren habe ich mir eine Menge Equipment zugelegt, vielleicht besitze ich ja in zehn Jahren genug Zeug, daß ich meine Musik komplett selbst produzieren kann und nicht mehr auf Plattenfirmen angewiesen bin. Dann sähe das alles schon ganz anders auS.

G&B: Michael Landau erzählte mir, für ihn bestehe eine ganz klare Trennung zwischen seiner eigenen Musik und den Studio-Jobs. Ein solch zwiespältiges Leben könntest Du Dir demnach nicht vorstellen.

A.H.: Ich glaube nicht. Oft, wenn ich mal für andere Leute spielte, haben sie meinen Beitrag dann gar nicht verwendet, sondern nachträglich jemand anderen rangezogen. Sie riefen immer an und sagten mir: „Wir mögen die Art in der du spielst und wollen, daß du zu diesem Song genau dein Ding beisteuerst. Mache genau das, was du dir vorstellst.“ Nachherstell ten sie dann fest, daß sie es nicht mochten. Eigentlich wollen sie doch meistens, daß man Etwas macht, zu dem man selbst nicht steht. Ich bin auch aus einem anderen wichtigen Grund nicht an solcher Arbeit interessiert: Ich habe eine Menge Leute kennengelernt, großartige Musiker, die in diese Studio-Szenekamen, nachher aber nicht mehr den Wegraus fanden. Denn wenn man damit eine Menge Geld verdient, ist es nicht so einfach, wieder von diesem Lebensstilwegzukommen, wenn man sei ne eigene Musik verwirklichen möchte. Und da ich nie sehr viel Geld hatte, habe ich mich eben daran gewöhnt. Natürlich ist es mit der Zeit nach und nach bessergeworden; und das gefällt mir auch mehr, als wenn ich plötzlich mit einer Sache, die ich nicht mag, reich werden würde und dann nicht mehr davon wegkäme. Alles, was ich tun möchte, ist spielen, und solche Studio-Jobs sind nicht immer unbedingt Musik für mich. Klar, ich erledige auch gele: gentlich Jobs, wenn ich für Leute bestimmte elektronische Geräte herstelle, das bringt mir immer etwas Geld ein, Wenn Wir, Wie in den vergangenen Monaten, nicht auf Tour sind. Aber ich baue lieber für jemanden irgendein Gerät, als daß ich im Studio für andere Leute etwas spiele, zu dem ich nichtstehe.

G&B: Du Warst aber auf dem Vorletzten Al

(next page) bum von Level 42 zu hören. Wie konntest Du Dich dazu durchringen?

A.H.: Das war vor einigen Jahren. Gary Husband war damals bei Level 42, und ihr Gitarrist starb dann plötzlich. Sie fragten mich daraufhin, ob ich nicht nach England kommen könnte, um ein paar Soli einzuspielen. Ich wußte, daß sie alle sehr nette Typen sind, und daher habe ich das dann gemacht. Ich habe ihnen ausgeholfen, während sie einen neuen Gitarristen suchten – das war eine Ausnahmesituation. Und da war auch wirklich keine typische Session-Atmosphäre, ich fühlte mich schon etwas in den Band-Zusammenhang integriert.

G&B: Tempest, Soft Machine, Lifetime, Jean-Luc Ponty, UK, Gong, Bill Bruford – das sind wohl die wichtigsten Formationen und Musiker, mit denen Du zusammengearbeitet hast. Welche Phase war für Dich rückblickend die bedeutendste?

A.H.: Sie waren alle wichtig, jede Band zu ihrer Zeit. Für mich war das alles von gleicher Bedeutung, und alle Formationen haben mir aus verschiedenen Gründen Spaß gemacht. U.K. vielleicht am wenigsten. Ich mochte es sehr, mit Bill (Bruford, dem Drummer von UK, d. Verf) zu arbeiten: Auf seinen Solo-Alben, besonders auf dem zweiten, One Of A Kind“, fühlte ich mich noch am ehesten in einer Band. Davor waren das immer eher Sessions.

G&B: Aber bei U.K. selbst lief die Zusammenarbeit weniger gut ab?

A.H. Nein, das war nicht so toll. Sie sind zwar alle sehr nette Leute, ich mag sie immer noch und freue mich auch, wenn ich sie mal sehe, Aber das war so eine Art von musikalischer Inkompatibilität, wir wollten zusammen nie das tun, was jeder einzelne tun wollte. Es war eigentlich Eddies (Violinist/Keyboarder Eddie Jobson, d. Verf) Band, und er und (Sänger/ Bassist) John Wetton sahen die Dinge auf ihre eigene Art, Billstand in der Mitte und ich am ganz anderen Ende. (grinst). Ich war wirklich kein guter Typ für diese Band, denke ich heute. Ich konnte Sachen verändern, alles anders spielen, aber das hatte nie eine Wirkung auf die übrigen Musiker. Es war, als würdeich mit einer Maschinespielen, und das machte mich wahnsinnig. Wenn ich z.B. mit Gary Husband zusammen spiele, erhalte ich eine Reaktion auf jede Kleinigkeit, die ich mache. Ich mag diese organische Sache, aber in UK war in dieser Hinsicht kein Leben - das war tot, das war pasteurisierte Musik. Es gab keinen Raum für Improvisationen, und sie verlangten von mir live die gleichen Soli zuspielen wie auf der Platte. Das kann ich nicht, denn das widerspricht allem, woran ich glaube. (lacht). Es ist kein Solo, wenn es nicht improvisiert ist!

G&B: War das in der Band von Jean-Luc Ponty anders?

A.H.: Oh ja, da konnte ich meine Soli spielen | wie ich wollte. Natürlich mußte ich die Kompositionen lernen, aber ich hatte immer meine Freiheit.

G&B: Wahrscheinlich ist Jean-Luc Ponty mehr Jazzmusiker, als es seine Fusion-Alben aus den Endsiebzigern vermuten lassen.

A.H.: Ich halte ihn für großartig, und er wird auch von vielen Leuten einfach unterschätzt. Ich habe ihn auf der Bühne erlebt, und das War faszinierend. Diese Zeit hat mir viel Spaß gemacht, auch weil ich ihn als Menschen Sehr Imag

G&B: Hast Du jemals mit Miles Davis oder Frank Zappa zusammengearbeitet? Die Kombination mit Dir hätte ich mir interessant vorgestellt.

A.H.: Nein. Ich habe Frank mal durch Chad Wackerman kennengelernt, der mit ihm zusammenarbeitete. Frank war sehr gut zu mir, er hat mir sehr geholfen. Er hat mich immer sehr großzügig unterstützt, und ich vermisse ihn wirklich. Was ich an ihm liebte, war, daß er in vielerlei Hinsicht ein Mensch war zu dem man aufschaut, nicht nur als Musiker. Er War ein Organisator seines Lebens, er schlug sich mit Plattenfirmen herum und holte aus allem das bestmöglichste heraus. Das fand ich großartig. Er war ein Typ wie Clint Eastwood, jemand, der alles auf seine eigene Art machte ohne direkt tief im Business zu stecken – und das mit Erfolg, Frank Zappa war erfolgreich mit dem was er tat, und das alles War nur Sein eigener Verdienst. So etwas bewundere ich, obwohl mir das selbst nicht gelingt; ich denke anders. Aber ich würde sehr gerne an den Punkt kommen, auf diese Art in meiner eigenen Welt gut leben zu können, ohne jemals da heraus zu müssen. Mein eigenes kleines Disneyland, das wäre schon großartig (lacht).

G&B: Ich erwähnte eben Miles Davis, Weiler Dich als Gitarristen ebenfalls sehr bewunderte.

A.H.: Ich wußte das damals nicht. Dann bekam ich irgendwann einen Anruf von seinem Manager oder einem seiner Musiker, und man fragte mich, ob ich mit ihm spielen wolle. Und natürlich wollte ich das! Aber genau zu diesem Zeitpunktstand bereits eine Tour mit meiner eigenen Band, und ich war in einem totalen Konflikt. Diese Tour konnte ich unmöglich absagen, weilich meine Musiker nicht im Stich lassen wollte. Ja, und ich glaube, er hat mich nicht wieder angerufen (lacht). Aber das wäre schon eine großartige Sache gewesen.

G&B: Wer ist Dein Favorit unter den Milosavas-Gitarristen?

A.H.: Oh, ich mag sie alle, ich denke, jeder von ihnen war großartig: John McLaughlin, Mike Stern, John Scofield – sie sind alle mehr als fantastisch.

G&B: Gibt es irgendeinen Gitarristen, von dem Du Dich beeinflußt fühlst?

A.H.: Ich denke, mich hat jeder beeinflußt. Es gibt viele Musiker, nicht nur Gitarristen, die mir gefallen. Auf eine gewisse Art beeinflußt mich überhaupt alles, was ich gut finde. Als


(next page) ich John Scofield und John McLaughlin hörte, fand ich sie beide sehr inspirierend, auf unterschiedliche Art. Aber ich wollte da nie etwas analysieren oder tiefer gehen. Ich nehme das so an, wie es ist: als etwas, das ich höre und mag. Das ist auch mein Maßstab für Qualität Ich akzeptiere den hohen Standard dieser Musiker und versuche gleichermaßen ein hohes Niveau zu erreichen, ohne etwas zu tun, Was bereits andere Leute machen. Diese Art von Qualitäts-Level zu erreichen, versuche ich in meiner Musik. Ob ich damit an diese Leute heranreiche, an Musiker die ich wirklich beeindruckend finde, Weiß ich nicht. Das wird sich zeigen.

G&B: Du hast einmal in einem Interview gesagt, daß es eine Menge Aufnahmen gibt an denen Du beteiligt warst, für die Du Dich schämst, John Scofield hat mir vor kurzer Zeit das gleiche erzählt.

A.H. Ja, das ist ein abscheuliches Gefühl, das schlimmste Gefühl der Welt. Unglücklicherweise gibt es eine Menge Leute, die es nicht interessiert, was der Künstler sagt und will – Bootlegger, Produzenten die einfach nur irgendeine miese Platte machen wollen. Ein gutes Beispiel dafür ist mein Album Velvet Darkness“, das ist und war schon immer grauenhaft: einfach wie es gemacht wurde, niemand hatte die faire Chance sich die Aufnahmen mal im Kontrollraum anzuhören usw. Außerdem war es eine große finanzielle Abzockerei an allen beteiligten Musikern. Zuerst sagte man mir, das Album würde nicht erscheinen, und ich dachte nur Toll, die Sorge bist du los. Dann kamen plötzlich verschiedene Bootlegger mit diesen Aufnahmen auf den Markt, und danach passierte das Schlimmste überhaupt: Eine große Major-Company, Epic Records, brachte ausgerechnet diese Aufnahmen wieder heraus, und das zu einer Zeit, als alle sieben Alben, die ich eingespielt hatte und auf die ich auch wirklich stolz war, gerade nicht mehrerhältlich waren! Ich ging in die Läden, und die einzige Platte, die ich davon mir fand, war Velvet Darkness“ Weißt Du, wenn solche Dinge passieren, sage ich mir nur, „seit!“ und will alles hinSchmeißen, mir einen Job Suchen und ansonsten nur noch Fahrrad fahren. Dieser Aspekt des Musikgeschäfts ist so krank, da geht es nur um Geld, alles reduziert sich auf das Geld

G&B: Und an dieser Platte hast Du dann auch nichts verdient?

A.H.: Nein! Nie, keinen Pfennig. Mein Rechtsanwalt hat sie dann aber gejagt, und das Album wurde daraufhin aus dem Handel genommen. Und deshalb kann ich auch Leute wie John Scofield verstehen, wenn sie sich manche Aufnahmen einfach nicht mehr anhören wollen. Es gibt natürlich Dinge, die mir heute, nach langer Zeit, nicht mehr so gefallen, wie zudem Punkt, als ich sie aufnahm – das ist etwas anderes. Aber Was Velvet Darkness“ angeht, ist es mir heute absolut unmöglich das anzuhören.

G&B: Ähnlich negativ hast Du Dich einmal über Deine Aufnahmen mit dem Schlagzeuger John Stevens geäußert.

A.H.: Nein, die mag ich wirklich nicht. Denn in diesem Fall war er selbst auch der Wunde Punkt an der Sache. Wir wollten eigentlich nur ein Album machen, Touching On hieß das, glaube ich, und er spielt eben keine richtigen Kompositionen, sondern wir haben alle spontan improvisiert. Jeder, der das einmal versucht hat, Weiß, daß so etwas manchmal sehr gut sein kann, manchmal aber auch extrem schlecht. Nachdem wir dann einige dieser Improvisationen mitgeschnitten hatten, entschieden alle beteiligten Musiker gemeinsam, welche Passagen auf das Album kommen sollten und welche nicht – wir waren da auch sehr schnelleiner Meinung. Und was hat John Set vens getan? Er hat irgendeinen Deal klargemacht und alles verwendet, auch die ganze Scheiße, die Wir nie veröffentlicht haben wollten! Und so etwas ist, weißt Du, das ist einfach


(next page) nicht zu entschuldigen, denn er war schließlich einer von uns, es War ein Musiker, der das getan hat! Wenn es jemand von der Plattenfirma gewesen wäre, dann hätte ich es vielleicht noch schlucken können, aber er war einer aus der Band. Ich hoffe, ich werde nie wieder etwas mit ihm zu tun haben, ich möchte ihm nicht mehr begegnen. (lacht) Jedenfalls nicht in den nächsten Jahren.

G&B: Reden wir über erfreulichere Angelegenheiten. Joe Satriani hat, in einem Gespräch für eine Workshop-Reihe in diesem Magazin, einmal erwähnt, wie wichtig Du für seine musikalische Entwicklung warst.

A.H.: Oh, wirklich?

G&B: Er erzählte, u.a., wie entscheidend „Believe It von der Tony Williams Lifetime, mit Dir als Gitarristen, ihn beeinflußt hat (s.

G&B, Ausgabe 2/94, d. Verf). Eine Kernaussage war, daß erin Deiner Artzuspielen, das Modell für die Ausarbeitung und Verwirklichung seiner eigenen Ideen fand.

A.H.: Oh, das ist großartig. Es freut mich sehr, das zu hören. Wir haben uns nur einige Male ganz kurz getroffen.

G&B: Kommen wir noch mal zu Deinen Anfängen zurück: Bevor Du ausschließlich als Musiker Dein Geldverdienthast, Warst Du ein ganz normaler Arbeiter.

A.H.: Ich habe eine Menge Jobs hinter mir, und auch nachdem ich mich auf die Musik konzentrierte, arbeitete ich oft noch nebenbei. (lacht). Diese großartigen Acht-Stunden-Jobs

G&B: Kannst Du Dich noch erinnern, ab Wann Dein Gitarrenspiel diesen typischen fließenden Charakter zeigte, der heute Dein Markenzeichen ist?

A.H. So ungefähr. Ich habenichtallzu frühangefangen zu spielen. Die Musik liebte ich schon immer, ich wuchs auch in einer Sehr musikalischen Umgebung auf, denn mein Vater spielte ständig Platten von hervorragenden Musikern, dieichmirimmeranhörte. Ich liebe die Musik, seit ich drei oder vier Jahre alt bin, seitdem ich immer vor diesem alten Plattenspieler saß und die Sammlung meines Vaters erforschte. Andererseits hatte ich nie großes Interesse, einmal Musiker zu werden, das kam eher durch Zufall zustande. Ich nudelte immer ein bißchen auf einer Gitarre herum, die Wir zu Hause hatten. Eigentlich wollte ich damals aber gerne Saxophon spielen, meine Eltern konnten sich ein solches Instrument jedoch nichtleisten. Mit 17griffich dann endgültig zu der Gitarre, und als ich 19oder 20 Jahre Altware, fragten mich dann Freunde, ob ich nicht in ihren Bands mitspielen wollte. Daraufhin fing ich dann auch an, mich intensiver mit dem Instrument zu befassen. Ich habe dann ca. drei Jahre in England in einer Top-40-Band gespielt, das war meine erste Chance professionell zu arbeiten. Sie zahlten mir gutes Geld, ich glaube es waren 25 Pfund pro Woche, das war eine Menge. In der Fabrik verdiente ich damals nur 13 oder 14 Pfund Wöchentlich, und durch den Job in der Band konnte ich jeden Tag üben und hatte trotzdem mehr Geld als vorher. Und eben in dieser Phase, 1969/70, kurz bevor ich mit Tempestspielte, hörte ich dann zum ersten Mal Dinge in meinem Spiel, die ich schon immer hören wollte. Davor klang ich immer genau anders als ich wollte, das war ein ständiger Kampf.

G&B: Damals spieltest Du noch auf einer Strat oder einer Gibson SG.

A.H.: Es war eine rote SG Standard, anschließend hatte ich eine Weiße SG Custom, die Strat kam später. Außerdem besaß ich einen Vox AC30, danach spielte ich einen Marshall JCM 45, oder wie immer der hieß, über eine riesige 8× 10"-Box. Die habe ich aber dann umgebaut in eine ebenso große 4× 12"-Box, die sehr gut klang. Die SG und den Marshall habe ich sehr lange Zeitgespielt, auch noch bei Tony Williams, Kurz bevor ich dann mit Jean-Luc Ponty zusammenarbeitete, experimentierte ich mit Humbuckern auf einer StratOCaster herum – das funktionierte sehr gut, und heute macht das fast jeder. (grinst). Das ist schon tausend Jahre her, denke ich manchmal.

G&B: Noch einmal zurück zu Deinen „Markenzeichen“: Wann hast Du Zum ersten Mal bewußteinensustainreichen, verzerrten Gitarrenton gehört?

A.H.: Das weiß ich nicht mehr genau. Natürlich habe ich damals Leute wie Jimi Hendrix oder Eric Clapton wahrgenommen, die mit dieser Art von Sound spielten; aber das war nicht exakt der Ton, der mir vorschwebte. Der Ansatz kam schon daher, denke ich: Viel Sustain etc. Mich haben schon immer Verstärker interessiert; bereits damals, Ende 68 habe ich einige Geräte entwickelt, mit denen ich den Sound vor den Lautsprechern runterregeln konnte, und so bei gemäßigter Lautstärke mit einem weitaufgedrehten, verzerrenden Amp spielte. Fender-Amps gefielen mir zu der Zeit übrigens weniger, eben weil sie nicht so stark verzerrten. Dieser Bereich interessierte mich sehr, ich wollte immer wissen, Was dahintersteckt. Daher arbeitete ich auch mit einigen Leuten zusammen, die Verstärkermodifizierten, schaute mir an, was sie machten, las Bücher über Röhren-Amps, lernte verschiedene Tricks und baute schließlich selbst Preamps, die ich vor meine Verstärker schaltete um etwas mehr Input und Verzerrung zu erzielen. Sehr früh erkannte ich aber, daß der Distortion-Sound denichmochte, vom ganzen Amp, also auch von der Endstufe herkam. Aus


(next page) schließlich mit dem Preamp erzeugte Verzerrung war nur 50% von dem, was ich haben wollte. Preampsklingen sehr gut für cleane Sounds, aber für andere Sachen–ich weiß nicht. Natürlichkenneich andere Leute, die hervorragende Dinge nur mit Preamps anstellen, aber ich werde nur mit einem kompletten Amp glücklich.

G&B: In den letzten Jahren hast Du Dich ebenfalls mit dem Thema „Lautstärke-Reduzierung“ befaßt.

A.H.: Diese alte Load-Box diente nur dazu, die Lautstärke des aufgedrehten Amps zu reduzieren. Das erste Modell von damals besitze ich sogar noch. Mein neues Gerät simuliert aber außerdem noch das frequenzabhängige Impedanz-Verhalten eines Lautsprechers. Das am Speaker-Ausgang abgegriffene Amp-Signal kommt als Line-Level aus meinem Gerät heraus, es verwandelt also, vereinfacht gesagt, einen kompletten Amp in einen Preamp. Auf dieses Signal kann ich dann Hall, einen ES usw. geben. Das Top muß dabei dann auch nicht an einen Speaker angeschlossen werden. Daran habe ich viele Jahre gearbeitet, und inzwischen klingt es richtig gut.

G&B: Welche Endstufen verwendest Du dann, um das Signal wieder „hörbar“ zu machen?

A.H.: Mit den Power-Amps, die dann die Speaker ansteuern, habe ich viel experimentiert, u.a. benutze ich eine Mesa/Boogie-Endstufe. Zusammen mit meinem Gerät brauche ich dann natürlich nicht mehr unbedingt einen Röhren-Power-Amp; eigentlich hätte ich dafür am liebsten einen Hi-Fi-Verstärker, denn der eigentliche Sound steht ja schon, wenn er in die Endstufe kommt. Ich möchte damit schließlich nur den geschaffenen Sound reproduzieren, ähnlich wie man das mit den Monitoren im Abhörraum eines Studios tut. Mein Gerät hat allerdings keine Speaker-Simulation, keine Equalizer-Funktion, daher kann ich damit auch nicht direkt ins Pult spielen. Es ist eben nur für Live-Arbeit gedacht, der Sound muß also letztendlich von Lautsprechern abgenommen werden. Das ist dann natürlich bei sehr niedriger Lautstärke möglich, mit sehr gutem Sound. Bei Aufnahmen geheich folgendermaßen vor: Der Lautsprecher, dessen Signal über Mikrofon abgenommen wird, ist nicht in ein GehäuSesondern auf ein Gestellmontiert, hängt also praktisch frei im Raum; das Aufnahme-Mikro befindet sich sehr nahe an der Membran. Meine Amp-Einstellung sieht dabei folgendermaßen aus: die Bässe sind komplettruntergeregelt, Mitten-, Treble- und Volume-Reglerbefinden sich in der 1-Uhr-Position.

G&B: Welche Verstärker spielst Du zur Zeit?


A.H.: Seit ungefähr vier Jahren verwende ich Amps von Mesa/Boogie, aber wenn wir auf Tour sind, muß ich oft mit dem Equipment klarkommen, was mir gestellt wird. Dann spiele ich auch manchmal zwei Fender Twin Reverbs für den cleanen Sound und zwei Marshalls für die verzerrten Sachen. Vor einigen Jahren verwendete ich sehr viel Rack-Equipment, aber das benutze ich nicht mehr. Ich habe alles Soweit reduziert Wie irgendwie möglich. Was ich heute davon noch einsetze, sind zwei Intellifexes, ein Lexicon Alex und einen Equalizer Zu Hause spiele ich ein Boogie-Top plus Box für den Lead-Sound und zwei Combos für die Rhythmus-Sachen; dafür nehme ich sehr gerne die Satelliten 60s, sie sind unglaublich clean und das mag ich. In allen Boogies sind Celestion-Speakers – ich habe eigentlich nie andere Lautsprecher verwendet. Früher hatte ich zwei Racks, die wirklich so groß wie Kühlschränke waren. Sie stehen noch in England, und ich würde sie gerne rüber holen. Vielleicht klappt das nach der nächsten Tour, denn sonst sind mir die Frachtkosten einfach zu hoch. Aber ich komme mit dem kleinen Setup hervorragend zurecht, denn es klingt einfach. Viele Leute wollen nichtbegreifen, daß die Gitarre und der Amp den Sound machen und nicht die anderen technischen

(next page) Geräte. Ich bin glücklich so, dennesklingt besser und ich habe weniger zu schleppen. Wenn wirirgendwohinzueinem Konzertflie gen, kostet es einfach zu viel Geld, wenn ich mein eigenes Equipment mitnehme. Ich habe immer nur einen kleinen MÄR-Kompressor dabei, den ich wie einen Preamp für cleane Sounds benutze; damit steuere ich dann die beiden Intellifexes an, und dann gehen die Signale in die Amps, die man mir auf die Bühne stellt. Das klingt zwar nicht so gut wie meine eigenen Verstärker, aber es funktioniert einigermaßen. Ich kann jetzt alles was ich brauche in einen kleinen Werkzeugkoffer (Baumarkt, DM 29,80; d. Verf) verstauen und kann es so überall mit hinnehmen. Gelegentlich verwende ich auch noch einen TC-Booster, aber immer nur in der Clean-Funktion. Die Pickups meiner Gitarren haben einen sehr niedrigen Output, und der Booster bringt sie dann ungefähr auf das Level von Super-Distortion-Tonabnehmern. Den Sound von High-Output-Pickups mag ich nämlich nicht. Dann benutze ich seit einiger Zeit noch den Mesa/Boogie-V-Twin, einen Röhren-Preamp mit dem man auch direkt ins Pultgehen kann. (Holdsworth spielte während des Gesprächs zeitweise auf einer seiner Gitarren, ohne Amp. Und es war mehr als erstaunlich, Wie authentisch sein Sound rüberkam, man hatte das Gefühl, daß bereits diese Unplugged-Variante alles beinhaltet, was die Einzigartigkeit die siez Musikers ausmacht. Sein Geheimnis heißt ganz offensichtlich „solide Handarbeit“, mit einer perfekten Mischung aus angeschlagenen Noten, dezenten Hammerings und Slurs, wo beidierechte Hand mit ihrer perfekter AttackKontrolle ebenso wichtig ist wie die rasanten Griffbrettläufe;d. Verf.)

G&B: Das Zusammenspiel von Kopf und Fingern ist Dir wohl um einiges wichtiger als eine bestimmte Gitarre oder ein Verstärker

A.H.: Einigen Leutenbedeutet das Equipment viel zu viel, ich sehe das nur als mein Werkzeug an. Der Sound beginnt wirklich im Kopf eines Musikers, und vielleichtkommtmandann auch noch so weit, daß er in der Praxis funktioniert. Natürlich helfen einem die richtigen Werkzeuge dabei, aber sie sind nicht das wichtigste.

G&B: Kommen wir trotzdem noch zu den Gitarren, die Du heute spielst

A.H.: Sie stammen von einem Kalifornier namens Bill Delap, erhat sie für michgebaut. Bill lebt in Monterey. Ich besitze zwei Gitarren von ihm, die sich nur sehr geringfügig voneinander unterscheiden. Das Design seiner Instru mente basiert auf dem von Steinberger. Alle Gitarren die ich spiele haben übrigens passive Systeme und Custom-Pickups von Seymour Duncan. Die Hardware stammt größtenteils von Steinberger: Trans-Trem, Nut usw. Mit dem Vibrato stelle ich allerdings wenig an. Ich mag besonders den Sound von Alder-Holz, Male Necks und Ebony-Griffbrettern.

G&B: Wie sieht es mit der Baritone Gintaras, benutzt Du sie noch?

A.H.: Ich besaß zwei dieser Instrumente, habe sie aber verkauft, d.h. eingetauscht. Dafür bekam ich dann eine Synthaxe; die hatteichnämlich vor einigen Jahren verkauft, bis ich sie dann vermißte. Die Baritone-Guitar hatte ich auch nur auf einigen Tracks eingesetzt, zuletzt bei Wardenclyffe Tower“. Sie hat eine 38'-Mensur und war sehr schwierig zu spielen; dafür klang sie allerdings außergewöhnlich gut.

G&B: Welche Plektren verwendest Du?

A.H.: Große Jim-Dunlop-Picks,1mm stark. Ich halte das Plektrum relativ weit hinten, und durch die Dicke und das Material sind sie trotzdem sehr ruhig. Sie erzeugen keine unerwünschten Nebengeräusche beim Anschlag

G&B: Wie hast Du die Saitenlage bei Deinen Gitarren eingestellt?

A.H.: Sehr niedrig. Ich muß daher mit einer relativ leichten, vorsichtigen Anschlagtechnik arbeiten.


G&B: Wechselst Du oft zwischen PlektrumSpiel und Fingerpicking?

A.H.: Nur gelegentlich. Die Akkordespieleich meistens mit den Fingern. Was ich nie mache, ist die Kombination von Pick und Fingern.

G&B: Und an welcher Position schlägst Durie Saiten beim Plektrumspielan?

A.H.: Ich versuche ziemlich genau zwischen den beiden Tonabnehmern anzuschlagen; ich setze hauptsächlich den Steg-Tonabnehmer ein. Den Hals-Pickup benutze ich nur für Akkorde. Mit den vielen Tonabnehmern ist das überhaupt so eine Sache: Je mehr Pickups auf einer Gitarre sind, umso stärker verhindern die Magnetfelder ein unbeeinflusstes Schwingen der Saioten.

G&B: Erzeugst Du die Fade-ins von Akkorden mit dem Regler an der Gitarre?

A.H.: Nein, das beherrsche ich nicht. Dafür benutze ich ein Volumen-Pedal. Meine Hand brauche ich an den Saiten.

G&B: Welche Saiten Verwendest Du?

A.H.: Libell-Strings, 008er Sätze. Aber das hängt auch etwas vom jeweiligen Instrument ab. Ich habe auch schon 009er und 010er Saiten gespielt, z. B. auf der Charvel, die ich vor einiger Zeit hatte. Mit den dünnen 008ern konnte ich mich erst anfreunden, als ich zum Steinberger-Design wechselte. Diese Gitarren

(next page) haben 25,5"-Mensuren, Short-Scales kann ich nicht spielen; eine Gibson fühlt sich für mich wie ein Spielzeug an.

G&B: Deine Hände sehen auch relativ groß at:18. . .

A.H.: Sie sind gar nicht so groß. Woher dieses Gerücht kommt, weiß ich auch nicht. (grinst) Deine Finger sind doch doppelt so lang wie meine. Ich habe sehr dünne Handgelenke, vielleichtsehen die Hände deshalb größer aus als sie sind. Meine Handfläche ist groß, aber die Finger sind wirklich nicht sehr lang. Ich habe allerdings gelernt, sie sehr weit zu Strecken. Als ich zu spielen anfing, kannte ich eine Klassik-Gitarristin, die ihr Instrument stimmte, indem sie auf allen Saiten den Ton „E“ spielte: Siegriff also gleichzeitig ein Auf der A-Saite, der D-Saite und der H-Saite, das mit sehr kleinen Händen. Damals wurde mir klar, daß die Größe der Hände keine große Rolle spielt. Es geht eher um die Flexibilität.

G&B: Gibt es ein spezielles Training, das Du absolvierst, um Deine Hände beweglich zu halten, Dehnungsübungen etc.?

A.H.: Nein, ich spiele einfach nur jeden Tag.

G&B: Und beschäftigst Du Dich dabei dann nur mit Deiner Musik, oder spielst Du auch rein technische Übungen?

A.H.: Ich übe eigentlich mehr. Meine Kompositionen spiele ich nur, wenn ich mich auf eine Tour vorbereite, und dann muß ich alles immer Wieder neu lernen. Zu Hause übe und improvisiere ich. Und immer wenn ich an den Punkt komme, ständig die gleichen Dinge zu spielen, beschäftige ich mich mit Skalen o.ä. Wenn ich mich allerdings wohl fühle mit dem was ich tue, dann spiele ich einfach nur drauf los.

G&B: Wie sieht es aus, wenn Du live ein Solo beginnst: Ist das eine Sache, die im Kopf anfängt, also klar durchdacht ist?

A.H.: Nein, ich weiß nie genau was passiert. Natürlichkenneich die Akkorde, die Arrangements, weiß aber nie vorher, was ich tun Werde (lacht) Ich denke natürlich dabei über Akkorde und Skalen nach, versuche aber immer, mit dem Was ich spiele, so innovativ wie möglich zu sein. Ich denke über andere, neue melodische Linien nach; vielleicht wie ich auf einem neuen Weg von einem Akkord zu einem anderen kommen kann.

G&B: Kommt es dabei auch vor, daß Du Dich | Selbstüberraschst; daß Duz.B. durch „Fehler“ neue Wege entdeckst?

A.H.: Eigentlich nicht. Weißt Du, ob ein Ton | nun falsch oder richtig ist, das hängt doch nur davon ab, ob man diesen Ton in diesem Moment auch spielen will. Ich denke, es ist sogar egal, ob eine bestimmte Note in einen harmonischen Zusammenhang passt oder nicht – sie ist nur dann richtig, wenn man sie auch bewußt einsetzen will. Natürlich passiertes bei Improvisationen oder bei dem Versuch, eine bestimmte Idee umzusetzen, daß ich total danebenliege. Aber das ist eben so, wenn man improvisiert, das macht Spaß.

G&B: Überraschende Dinge passieren also eherin der Interaktion, im Zusammenspiel der Musiker oder in der Reibung zwischen Solist und Begleitern?

A.H.: Genau, das ist es. Ich bekomme sehr viel Von den anderen Musikern.

G&B: Ich habe Dich vor einigen Jahren einmal in Deutschland auf einem Festival gesehen, bei dem auch „Marc Johnson Bass Desirees“ auftraten, mit den beiden Gitarristen John Scofield und Bill Frisell. Damals stellte ich mir die Frage, mit welchem Gitarristen Du in einer Band zusammenarbeiten könntest. Hast Du Dir schon einmal ähnliche Gedanken gemacht?

A.H.: Ich habe bereits mehrmals darüber nachgedacht, aber was mich immer wieder von der Idee einer Zwei-Gitarren-Band abbrachte, war, daß ich nicht wußte, werder zweite Mann sein sollte. Und dann passiertes ja auch oft, daß ein Krieg ausbricht, wenn zwei Gitarristen zusammenspielen sollen, (grinst) und das mag ich nicht, denn das führt von der Musik weg. Ich möchte auch nicht an „Krieg“ oder ähnliches denken, wenn ich Musik mache, verstehst Du? Klar, mit dem richtigen Gitarristen zusammen wäre das eine exzellente Sache. Es ist schon sehr lange her, daß ich überhaupt einmal mit einem anderen Gitarristen in einer Bandspielte.

G&B: War das Ollie Halsall bei Tempest?

A.H.: Nein, ihn meinte ich jetzt nicht. Mit Ollie habe ich auch nur ein paarmal zusammengespielt, ich war gerade davor, die Band zu verlassen, er war neu dabei. Das war also nur eine kurze Phase, bevor ich dann zu Soft Machine Wechselte. (Tempest-Drummer)Jon Hiseman magisch sehr, ein großartiger Mensch und Schlagzeuger, aber damals wollte ich nichtdenmusikalischen Weg gehen, der ihm vorschwebte. Jontendiertemehr Zum Rock, mehr zu dem hin, wie alle anderen klangen. Ich fand, daß Tempest eine wirklich gute Band war, die sich auch entwickeln konnte. (grinst)Jon sagte mir auch immer, ich sollte nicht so viel spielen. Gut, vielleicht habe ich auch damals zu vielgespielt. Aber das ist überhauptsoeinlustiges Thema, denn im Vergleich

(next page) zu heute habe ich in dieser Phase absolut gar nichts gespielt (lacht). Heutigstes doch so, daß man überhaupt nicht mehr Noten in einen Takt quetschen kann, als die meisten Gitaristen es tun. Das ist verrückt. Ja, also mit Ollie, das war nur eine kurze Phase. Neulich habe ich gelesen, daß er gestorben ist. Traurig.

G&B: Ollie Halsallhabe ich vor zwei Jahren in der Band von Kevin Ayers gesehen. Er gehörte ebenfalls zu den Gitarristen, die sehr fließende Linien bevorzugen. Etwas „Verwandtschaft“ zu Deiner Art zu spielen bestand da Schon.

A.H.: Das Erstaunliche daran ist folgendes: Als ich damals im Norden von England in dieser Top-40-Band spielte, trat freitags ein special guestaus London in dem größeren Saal unter unserem Club auf. Wenn sie dann zu unsraufkamen, um uns abzuchecken, haben Wir immer irgendwelche Instrumentals gespielt, um gut dazustehen. Damals kam dann auch irgendein Keyboarder aus London zu mir und meinte: „Letzte Nachthaben Wirin einem Londoner Clubmiteiner Band Zusammengespielt, deren Gitarrist hörte sich genauso an wie du und er hatte die gleiche Gitarre.“ Das war das erste Mal, daß ich von Ollie Halsall hörte; er spielte damals auch schon mit dieser LegatoTechnik. Und das ist auch eine sehr viel normalere Sache als die Leute denken, wenn es solche Übereinstimmungen gibt. Für mich gab es so etwas z.B. auch zwischen Ollie und Eddie Van Halen; da konnte ich auf einem bestimmten Level immer eine Art von Verwandtschaft heraushören, auch wenn die musikalischen Stile sicherlich sehr unterschiedlich sind. Und ich glaube nicht, daß Eddie in der Anfangszeit von Van Halen überhaupt etwas von Ollie Halsall gehört hatte. Er hatte nur einfach die gleiche Art von Einstellung, von Geisteshaltung er spielte einfach so, weil er es mochte, ohne bewußt darüber nachzudenken. Irgendwie haben diese Jungs wahrscheinlich auch mehr Spaß dabei als ich. Ich hänge immer an jeder Note, denke immer ängstlich darüber nach, wohin sich alles bewegt. Und bei einigen dieser anderen Leute Scheint einfach mehr Spaß im Spielzug sein. Der Sound beeinflußtsie dann auch weniger. Gut, Eddie hat einen tollen Sound, aber andere Gitarristen, die ich nicht nennen möchte, spielen so fantastisch und klingen dabei manchmal so schlecht, oaarhhh! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie damit gut spielen können. Das würde bei mir nicht funktionieren. Wenn ich nicht bei allem ein gutes Gefühl habe, wird es für mich sehr schwierig.


G&B: Bei welchem Album, das Du Dir angehört hast, hattest Du denn zuletzt ein gutes Gefühl?

A.H.: Ein Album von jemand anderem meinst Du? Meine Platten höre ich mir nämlich gewöhnlich nicht an. Ja, (überlegt) ich mag diese Japan-CD von Claus Ogerman und Michael Brecker, City Scapes, das ist ein großartiges Album. Aber ich höre mir Wirklich nicht viele Sachen an. Die Leute aus meiner Band – z. B. unser Bassist SkuliSverrisson, ein großartiger junger Musiker – sind da anders. Skuli hat den ganzen Tag einen Kopfhörer an und übt 24 Stunden täglich – (grinst) so wie ich das auch tun sollte. (lacht). Er übt, Während ich einen trinken gehe. Das ist auch eigentlich alles, was Du über mich Wissen solltest: Ich bin so faul Skuli hat jedenfalls immer tonnenweise CDs anderer Musiker dabei, von Leuten, die ich überhaupt nicht kenne. (Schlagzeuger) Gary Husband hört ebenfalls sehr viel. Ich Werde eher dadurch beeinflußt, daß ich für mich selbst über Musik nachdenke, dafür muß ich nicht unbedingt hören. Das ist ein verrücktes Gefühl, ich kann es nicht beschreiben. Manchmal denke ich, daß so viel Musik einfach in der Luft liegt. Ich muß nur einen Weg finden, etwas daraus zu machen. Also versteh“ mich nicht falsch, ich höre mir sehr gerne an, wenn andere Leute Musik machen. Aber ich beschäftige mich eben mehr als viele andere Musiker damit, einfach meine Sachen zu spielen, zu schreiben, zu lernen – und dabei entdecke ich auch immer wieder neue Dinge. Mir wird jedes Malbewußt dabei, daß die nächste Sache, an der ich arbeiten Werde, schwieriger sein wird, als das, was ich momentan tue. Jedes Jahr lerne ich neue Dinge, und dabei verstärkt sich gleichzeitig das Gefühl, immer weniger zu wissen, zu beherrschen, von dem was wirklich möglich ist. Und dieser Prozeßendet auch nicht: Selbst nach 25 Leben wüßte ich noch so gut wie gar nichts. Und genau das hält mich am Leben. Aber ich kann mir in den tiefsten Tiefen meines Kopfes nicht vorstellen, wie es ist, mit dem Was man gerade macht absolut glücklich und zufrieden zu sein. Ich kann es mir einfach nicht Vorstellen.

G&B: Aber Du hast doch Grund genug, auch gelegentlich malglücklich zu sein?

A.H.: Ich bin froh darüber, mit Musik zu tun zu haben, Musik zu spielen, mit großartigen Musikern zusammenzuarbeiten, ich freue mich auch darauf zu spielen, immer nur zu spielen. Aber das geht ja eben nicht immer, und dann bin ich enttäuscht, dann freue ich mich Wieder auf die nächste Chance, nehme Sie Wahr, haSSe das Was ich mache, freue mich auf den nächsten Versuch usw. Ich Versucheeinfachmeinen Weg zu gehen. Vielleicht komme ich auch irgendwann malan den Punkt, an dem ich meine Sachen erträglich finde – ich muß sie gar nicht wirklich mögen. Ich möchte nur zu mir sagen können. Okay, so schlecht war das nicht, was du gemacht hast. Und dann werde ich mich gut fühlen.

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G&B: Andererseits mußt Du doch auch erkannt haben, daß Du mit Deiner Musik anderen Menschen etwas Positives gibst?

A.H.: Das weiß ich auch, und es bewegt mich sehr, wenn Leute mir so was sagen. Das ist das Größte, was ein Musiker sich Wünschen kann, jemanden mit seiner Musik gefühlsmäßig zu berühren. Obwohl ich dann auch nie weiß, wie das funktioniert, denn das ist eine sehr eigene Sprache mit einem unbegrenzten Vokabular. Die Menschen hören bestimmte Noten, aber jede Note, wie sie gespielt wird usw., bedeutet etwas Bestimmtes für einen bestimmten Menschen. Das kann eine Grunge-Gitarre sein oder ein intensives Solo von Michael Brecker oder Keith Jarrett – und andererseits: obwohl das musikalische Vokabular eines Musikers Lichtjahre von dem eines anderen Musikers entfernt sein kann, ist es möglich, daß beide die Leute gleichermaßen berühren. Weißt Du, ich mag es, wenn Musiker so verrückte, lächerliche Dinge spielen können, daß ich lachen muß. Winnie Colaiuta kann das, er spielt manche unglaublichen Sachen auf seinem Schlagzeug, beidenen ich dann nichts anderes tun kann als zu lachen. Und das ist großartig.

G&B: Dieser etwas unsichere Wesenszug wird auch im Vorspann eines „Lehrvideos“ von Dir deutlich. Da betonst Du, Dich nicht als Lehrer zu verstehen, weil Du nicht sicher bist, ob das was Du machst auch wirklich richtig ist.

A.H.: Um diese Sache zu klären: Ich Sehe manche Leute Musikunterrichten, die meiner Meinung nach kein Recht dazu haben. Sie wissen nichts und sollten auch nichts lehren. Manchmal bringen sie ihren Schülern auch Sachen bei, die ich für falschhalte. Andererseits gibt es Leute wie Peter Erskine, ein fantastischer Schlagzeuger und Lehrer, beidem für mich alles Sinn macht, was er sagt. Was ich mache hat einen so starken Selbstbezug, es ist sehr spezifisch, eben weilich mich mit meiner eigenen Musik selbst Weiterentwickeln möchte. Daher habe ich auch kein Recht, zu sagen, das wäre für andere Leute wichtig und richtig. Musik zu machen und zu unterrichten sind zwei sehr verschiedene Dinge. Manche Leute können das, aber die meiSten eben nicht. Und noch etwas zu meinem Video: In einer Stunde kann man nicht das zusammenfassen, Was man in einem ganzen Leben gelernt hat, Zu diesem Video gab es ja damals auch noch ein Buch, das einiges klären sollte. Aber als ich später dann das fertige Tape sah, merkte ich doch, daß einiges mißverständlich rüberkam. Ich kann mir auch einfach nicht vorstellen, ein Lehrer zu sein; dieser Gedanke gefällt mir schon grundsätzlich nicht. Gerade weilich davon überzeugt bin, nur so wenig zu wissen, Wenig von dem Was wissenswert und möglich ist – wie kann ich das jemandem nahebringen? Ich kann nur versuchen zu zeigen, wie ich die Sache angehe, wie ich Akkorde und Skalen sehe und warum Modi für mich überhaupt keinen Sinn machen. Wie gesagt, das ist nur mein persönlicher Standpunkt. Die Beziehungen zwischen Akkorden und Skalen sind auch nicht die, die man in den Schulen lehrt. Ich denke aber nur, daß dies falsch ist, weil es für mich nach dieser Lehrmeinung nicht immer funktioniert. Vielleicht kommt das alles aus dieser frühen Zeit der Musiktheorie, als man sagte, dieser Akkord ist mit jenem verwandt und der Akkord sollte nur nach diesem kommen. Aber als sich die ganze Harmonik in eine kompliziertere Richtung entwickelte, funktionierte das alles nicht mehr so einfach. Das ist Wie bei einer mathematischen Formel, die man verändern möchte, wenn sie aufgrund bestimmter Erkenntnisse oder Gegebenheiten nicht mehr funktioniert. Irgendwann merkt man, daß es so nicht funktionieren kann. Und dann geht man eben ganz zum Anfang zurück und entwickelt eine komplett neue Formel. Genau das wollteichtun, und das habe ich für mich selbst auch getan. Mein Vater hatte eine sehr traditionelle Ausbildung, und so hat er mich auch gelegentlich unterrichtet. Aber nachdem ich einige Jahre gespielt hatte, merkte ich, daß diese Sachen für mich keinen Sinn mehrmachten. Und als ich dann ganz zum Anfang zurückging, stellte ich fest, daß ich keine der Regeln, die ich gelernt hatte, Dieder allgemeinen Musiklehre entsprachen, benutzen konnte; sie machten für mich keinen Sinn mehr. Wenn man Z. B. über Modes nachdenkt: Eine konventionelle Tonleiter hat Soundso viele Töne und entsprechend viele Modi. Was macht man aber, wenn man eine Skala hat, die über zwei Oktaven geht – was ist da der zweite Modus, wie geht man damit um, wiebenenntmandiese Modi? Bei den herkömmlichen Skalen und Modi gibt es außerdem viele Überschneidungen – warum ist das so? Das ist Unsinn! Es ist doch egal, ob zwei Skalen mit verschiedenen Tönen beginnen, wenn sie gleich strukturiert sind. Auf der Gitarre kann man doch sehr gut sehen, wie sich Skalen voneinander unterscheiden, das geschieht vor den Augen auf dem Griffbrett. Anfangs spielte ich wie jeder andere auch immer nur in Patterns und klei

(next page) nen Gruppen von Tönen, aber jetzt denke ich anders darüber, und dadurch zeigen sich sehr viele Möglichkeiten. Ich bin noch nicht sehr gut darin und fühle mich ganz am Anfang aber das ist ein Weg. Wenn ich z.B. einen Cmaj7vor mir habe, denke ich nie über ein bestimmtes Voicing oder eine spezielle Umkehrung nach. Ich denke darüber nach, welche Noten zu diesem Klangpassen könnten, womit ich ihn überlagern könnte; das in Abhängigkeit davon, welcher Akkord davor kam und welcher darauf folgt. Ich versuche also einfach, melodisch zu denken. Aber was ich sagen wollte ist nur: Ich kann niemandem vorschreiben, was richtig und was falsch ist, denn mir geht es nur darum, wie ich selbstessehe. (lacht)So, das war jetzt ein zweistündiger Vortrag.

G&B: Dann kommen Wir zur Praxis zurück Als ich Dein Album „Hard Hat Area“ hörte, fand ich, daß es immer noch sehr europäisch klingt, obwohl Dunja schon längere Zeit an der amerikanischen Westküste lebist.

A.H.: Daran Wird sich auch nichts ändern, Musik ist eine sehr geografisch bedingte Angelegenheit und kommt aus der Tiefe deiner Existenz, deiner Herkunft. (Pianist) Joe Zawinul ist z.B. in Europa aufgewachsen, und ich denke nicht, daß die Übersiedlung nach Amerika seine Musik wirklich verändert hat. Drei Leute aus meiner Band sind schließlich auch Europäer (lacht). Und das letzte was ich machen wollte, war eine Westcoast-Platte. Aber ich mag Kalifornien.

G&B: Notierst Du Deine Kompositionen ge nau aus?

A.H.: Nein, das mache ich nie. Was mir Wichtig ist, sind aber manche Titel, die eine Anspielung auf die Bilder sind, die der Musik zugrunde liegen.

G&B: Von der Stimmung her erinnerte mich einiges vom neuen Album an die Tristesse und Einsamkeit, die der norwegische Gitarrist Terje Rypdal in seiner Musik ausdrückt. Ich höre ein Nebeneinander von „Organisation“ bzw. „Struktur“ und „Einsamkeit“.

A.H.: Das stimmt vielleicht. Es ist doch eigentlich ganz egal, wie viele Menschen und Freundeman trifft, wen man liebt und um Wen man sich sorgt: „Man kommt alleine und man geht alleine“ – das ist ein altes Sprichwort, das aber auch etwas sehr Beängstigendes ausdrückt. Und vielleicht kommt auch davon etwas in meiner Musik zum Ausdruck.

G&B: Für mich hat Deine Musik teilweise auch Soundtrack-Atmosphäre, dies in dem Sinne, daß sie Bilder im Kopf anregt.

A.H.: Ich denke, das istgutso. Wenn ich Musik höre, dann ist dasso, als sähe ich ein Bild: Manchmal Werde ich dabei eben auch vom Titel der Komposition inspiriert, aber im wesentlichen erzeugt die Musikwirklich Bilder im Kopf.

G&B: Und was bedeutet z.B. der Titel „Ruhkukah“ von Deinem aktuellen Album?

A.H.:(lacht). Das ist eine lustige Sache. Einguter Freund von mir, der vor einigen Jahren an Krebs starb, war so ein richtiger Frauentyp – er war wirklich sehr populär beiden Ladies. Und „Rückkehr“ war eine seiner persönlichen Umschreibungen für „making love“, wobei er auf den Sound, die Aussprache, sehr viel Wertlegte. Er war ein lustiger Kerl, rundlich habe an ihn gedacht, als ich das Stück Schrieb.

G&B: Den Rahmen der Album-Tracks bilden ein „Prelude“ und ein „Postlude, Was hat es damit auf sich?

A.H.: Beides sind spontane Improvisationen, ohne vorgefertigte Idee oder Konzept. Daher gab es dafür auch keine Titel.

G&B: Du hast auch die übrigen Tracks überwiegend live im Studio aufgenommen. Wie bedeutend war der Anteil der Over Dubs?

A.H.: Es waren nicht viele, aber ein paar Overdubs spiele ich immer ein. Was wir bei diesem Album versuchten, war, einen großen Teil des Materials live zu spielen, bevor wir überhaupt ins Studio gingen, und das machte einen großen Unterschied. Früher kamen wir mit neuer Musik zu den Aufnahmeterminen und hatten noch nichts davongemeinsam gespielt. Daher haben wir jetzt auch immer sofort alles mitgeschnitten, und nur wenn jemand von uns mit seinem Part nicht zufrieden War, konnte er ihn neu einspielen. Mir liegt vor allem immer viel daran, daß der Bassist und der Drummer mit ihren Parts zufrieden sind. Unser Keyboarder Steve (Hunt) und ich können immer noch etwas rumbasteln, aber mit der Rhythmusgruppe ist das anders. Wenn ich ein gutes Solo gespielt habe und ihnen gefällt ihr Part nicht, dann müssen wir eben alles nochmal aufnehmen; im umgekehrten Fall kann man das ausbügeln. Die Basic-Tracks haben Wir schon immer sehr schnell eingespielt, in drei oder vier Tagen. Dann fange ich an mich damit herumzuschlagen und mische die Aufnahmen ab – das kann Ewigkeiten dauern, denn das mache ich zu Hause, was sehr kostengünstig ist. Ich besitze selbst keine Bandmaschine, miete mir also ein Gerät und komme damit sehr vielbilligerweg, als wenn ich auch noch fürs Mischen in ein Studio ginge. Und wenn dann nachträglich noch ein Keyboard- oder Bass-Solo eingespielt werden muß, machen Wir das auch hier

G&B: Welche Deiner Platten kannst Du jungen Musikern empfehlen, die Deine Musik kennenlernen möchten?

A.H.: Empfehlen? (lacht)Ja, ich mag natürlich das neue Album sehr, weil es wieder sehr organisch klingt und etwas von dem Geist des älteren,I.O.U.“-Albums hat. Das gefällt mir. Einige andere Alben empfinde ich als weniger geschlossen, daran waren verschiedene Bands beteiligt, wir arbeiteten in verschiedenen Studios usw. Auf Wardencyffe Tower“ war einige Musik die ich mochte, aber mir gefällt nicht das ganze Album. Meine Favoriten wären dann vielleicht „Hard Hat Area“ und Secrets“

G&B: Und wie sieht es mit Platten aus, die Du als Gastmusiker aufgenommen hast? Ich denke da an „Believe It" von Lifetime...

A.H.: Genau in dieses Album habe ich mir vor kurzem noch mal reingehört. Ein Freund kam mit einer CD an, auf der ‚Believe It“ und Million Dollar Legst" zusammengefasst waren Und ich konnte mir das nicht anhören, die Gitarre klang so lahm, unglaublich. Aber man muß ja auch überlegen, wann das war. Und daher kann ich auch keinem Menschen von heute eine Platte empfehlen, die zehn Jahre alt ist. Diese Musik hätte man eben damals erleben müssen, um irgend etwas darauszuholen.

G&B: Das ist übrigens schon 18 Jahre her.

A.H.: Ja? Vielleicht. Klarl Wahnsinn, das ist eine lange Zeit. Time flies!

G&B: Was interessiert Dich außer der Musik?

A.H.: Fahrradfahren, das liebe ich. Und Bier Ich trinke sehr gerne Bier.

G&B: Es kursiert ja das Gerücht, Du seist Besitzer einer Brauerei.

A.H.: (grinst) Nein, das stimmt nicht. Früher,

(next page) in England, habe ich zwar malversucht, selbst Bier zu brauen, aber es gibt so viele tolle Biersorten, an deren Qualität man als Laie nicht herankommt. Diese Braumeister haben eine Tradition, die Hunderte von Jahrenaltist, und wenn ich da ein paar Dinge zusammenschütte, wird daraus nie ein gutes Bier werden (lacht). Das ist, wie Wenn man sich eine Gitarre kauft und in zwei Tagen so klingen möchte wie John McLaughlin. Das funktioniert einfach nicht. Ich besitze allerdings einige englische Vakuum-Handpumpen zum Bierzapfen, die habe ich selbst importiert. Ich mag, nämlich kein Bier, das mit Kohlensäure versetzt ist, was die Amerikaner sehr stark tun. Mit der Handpumpe gezapft verschwindet dann die Kohlensäure, und das Bier Schmeckt. Diese Gerüchte kommen Wahrscheinlich daher, daß ich mein Studio „The Bremer“ nenne. (lacht). Aber hier wird wirklich kein Bier produziert.

Nach dem Interview Wollte Allan dann doch noch näher auf sein Hobby eingehen. Also fuhren wir in eine Kneipe in der Nähe seines Hauses, wo man durch eine Glasscheibe zuschauen konnte, wie der hauseigene Gerstensaft gebraut wurde. Und obwohl Allan diese Lokalität kannte, war beim Anblick der glänzenden Braukessel auch in seinen Augen ein Strahlen Zu sehen. Holdsworth ist ein Fanatiker im besten Sinne, jemand, der mit Liebe bei der Sache ist, ganz egalobes nun um die Musik oder um Hopfen und Malz geht. Denn auch zum Thema „Bier“ hatte er eine Menge zu erzählen, und ließ es sich dann auch nicht nehmen, ein paar volle Kannen nach Hause mitzunehmen, wo er mir dann die bereits erwähnten englischen Zapfpumpenin Aktion vorstellte. Undesschmeckte sagenhaft. Cheers! Genau so begeistert Holdsworth über seine Vorlieben erzählen kann, so bescheiden und zurückhaltend ist er, was seine eigene Person angeht. Bis auf ganz wenige Freunde ist eigentlich niemandem aus seinem Umfeld bewußt, daß er zu den wichtigsten, stilistisch einzigartigen Gitarristen der letzten zwei Jahrzehnte gehört. Seine Nachbarn halten ihn für einen Gelegenheits-Musiker und Bastler, in der Brauerei-Kneipe ist er gerngesehener Gast – mehr nicht. Andererseits ist sein Name bei so gut wie jedem bekannten Gitarristen dieser Welt ein Zauberwort, dessen Wirkung stärker ist, als die eines teuren Face-Lifting. Carlos Santana, John McLaughlin, Joe Satriani, Steve Vai, Steve Luther, Michael Landau u.v.a. strahlten wie die Honigkuchenpferdeundsahen sofortzehn Jahre jünger aus, wenn der Name „Holdsworth“ im Verlauf eines Interviews fiel. Einer größeren Live-Präsenz von Allan in Deutschland wurden in den letzten Jahren anscheinend immer Steine in den Weggelegt; so kam leider auch eine für Oktobergeplante und bereits gebuchte Tour aufgrund merkwürdigster Umstände nicht Zustande. Bleibt nur zu hoffen, daß sich das in näherer Zukunft ändert. Denn dieser Musiker hätte es Verdient.

Lothar Trampert