Gitarre & Bass (2010)

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GB 2010

ALLAN HOLDSWORTH, LEGENDE

VOR DEM KONZERT MIT BASSIST TONY LEVIN UND DEN SCHLAGZEUGERN PAT MASTELOTTO UND TERRY BOZZIO IST GITARRIST ALLAN HOLDSWORTH NICHT ZU SPRECHEN. ER TIGERT IM BERLINER QUASIMODO AUF UND AB UND BEOBACHTET DEN AUFBAU VON BOZZIOS RIESEN-DRUM-SET. DASS DIESER EPOCHALE GITARRIST VOR KONZERTEN KEINE INTERVIEWS GIBT, WEIL ER UNTER LAMPENFIEBER LEIDET, HÄTTE ICH NICHT ERWARTET.

Aber Allan Holdsworth wollte reden. Vor dem Gig im Quasimodo gab er mir ganz freundlich seine Telefonnummer und meinte, ich solle ihn nach Ende der Tour einfach anrufen. Gesagt, getan, und ein völlig entspanntes Gespräch entwickelte sich von Kontinent zu Kontinent. Darin blickt der mittlerweile 63-Jährige, der in Vista, Kalifornien lebt, auf das spannende Improvisationsprojekt seines aktuellen Quartetts zurück und gibt einen Ausblick auf das, was seine Fans demnächst erwarten dürfen. Der Brite Allan Holdsworth startete seine Karriere in den 60er-Jahren in London, wo er zuerst bei Trompeter Ian Carrs Band Nucleus und anschließend bei Jon Hisemans Colosseum-Nachfolger Tempest spielte. Die Art-Rock-Pioniere Soft Machine bereicherte er von 1973 bis 1975, gleichzeitig begann er in der epochalen Band Lifetime des amerikanischen Schlagzeugers Tony Williams mitzuwirken. In den frühen 80er Jahren siedelte Allan Holdsworth nach Amerika über und begann seine Solokarriere voranzutreiben. Holdsworth’s Legato-Sound ist einzigartig. Seine kraftvollen Fusion-Linien mit intelligenten bis kaum nachvollziehbaren Voicings und Melodielinien inspirierten unzählige Gitarristen – aber jeder Versuch, diesen Stil zu kopieren, bleibt überflüssig. Denn dieser Musiker ist ein Unikum. Allan Holdsworth ist außerhalb seiner musikalischen Arbeitsbereiche auch als passionierter Rennradfahrer und Bierkenner bekannt; das eigene Patent auf eine Bierzapfvorrichtung ist ein wichtiger Punkt in seiner Biografie.

Danke für das spannende Berliner Konzert in dieser wilden Besetzung. Das war wohl auch für dich ein spezielles Ereignis, da die Stücke nicht vorbereitet waren.

Ich denke, für uns alle war dieses Projekt sehr speziell. Keiner der Jungs macht so etwas in seinen Bands. Vielleicht gibt es mal kleine Parts, die nur improvisiert sind, aber größtenteils ist die Musik, die wir normalerweise spielen, auskomponiert. Es war also für alle einzigartig. Manche Leute mögen so was, andere überhaupt nicht ...

Auf deiner Website hattest du dazu eine Erklärung abgegeben.

Ja, ich habe nämlich einige fiese E-Mails bekommen, als wir unsere Tour entlang der amerikanischen Westküste machten. Ich fühlte mich persönlich angegriffen von Leuten, die das Programm hassten und dachten, ich würde meine Musik mit dieser Besetzung spielen. Einige waren sehr aufgeregt, und deshalb habe ich eine Notiz auf meine Website gepackt. Zu aller erst ist dies nicht meine Band, und wir spielen wirklich alles frei und improvisiert.

Wie waren denn die europäischen Reaktionen?

Besser. Ich glaube, es hat viel geholfen, dass diese Tour als improvisierte Tour und als Kollektiv angekündigt wurde und nicht als meine Band. Dadurch war das Publikum darauf vorbereitet, was sie sehen und hören würden. Es ist eine große Herausforderung für mich, Tag für Tag etwas Neues zu finden. Ich habe auf dieser Tour eine Menge über mich gelernt. Und wir hatten definitiv auch schlechte Konzerte; meist haben wir gute Abende, manchmal extrem gute Abende und sehr selten auch mal ein richtig schlechtes Konzert. In der Hinsicht waren wir in Berlin sehr glücklich: Es war unser erstes Konzert der Tour, und das deutsche Publikum ist hungrig nach solchen Sachen. Manchmal sind erste Gigs noch etwas rau. Aber diesmal gab es keine Ausreden, weil wir nichts vergessen konnten. Allerdings war die Bühne etwas zu klein für uns alle ...

Da ja sehr viele Schlagzeuger, Bassisten und Gitarristen im Publikum waren: Ist es eigentlich schwieriger, für ein Publikum zu spielen, das zu 95 Prozent aus Musikern besteht?

Das kann sein, muss aber nicht. Es ist normal für dieses Genre, denke ich. Es kann manchmal nervenaufreibend sein. Da musst du manchmal schon ein paar Bier intus haben, um zu relaxen. Es ist halt Männermusik; die einzigen Mädchen, die bei uns im Publikum sind, sind Freundinnen von Fans, die an den Haaren mitgeschleift wurden, schreiend und kreischend (lacht).

Dein Sound und dein Legatospiel wird von vielen Gitarristen bewundert und kopiert. Wie arbeitest du an deinen Sound-Ideen?

Grundsätzlich startet der Sound in deinem Kopf und du arbeitest an deinem Instrument und mit deinem Equipment, um dem Sound, den du gehört hast, so nahe wie möglich zu kommen. Du schaffst es nie ganz, aber solange man weiß, dass man nichts weiß, ist das OK für mich. Es deprimiert mich mittlerweile nicht mehr.

Du suchst und versuchst, deinen Sound und die Musik zu verbessern. Wie viele deiner Sounds standen bei den improvisierten Konzerten denn schon vorher fest, und wie viele davon entstanden ebenfalls frei improvisiert?

Einige der Sounds habe ich schon in eigenen Bands versucht, mit dieser Band brauchte ich allerdings andere Sachen. Und ich wollte wirklich mit neuen Ideen kommen. Ich habe drei Yamaha-Magicstomps dabei (Bodeneffektgeräte mit Amp-Modeler und Multieffekt-Möglichkeiten), und ein Programm für den Computer, den ich mitgenommen hatte. Damit habe ich herumexperimentiert, um einen Weg zu finden, kreativ mit Sounds umzugehen. Neue Sounds lassen einen anders spielen, weil man andere Ideen hört.

Ich hatte in einem alten Interview gelesen, dass du unter Lampenfieber leidest, was man sich gar nicht vorstellen kann. Ist das immer noch so?

Es ist sogar schlimmer geworden im Laufe der Jahre. Als ich um die 20 war und mit Tony Williams spielte, war ich auch schon nervös, aber es war anders. Ich hatte nichts zu verlieren, weil mich niemand kannte und keiner Erwartungen an mich hatte. Das machte nicht so viel aus wie heute. Heute haben die Leute so viele Erwartungen, und ich denke immer „Oh Mann, vielleicht enttäusche ich diese Leute heute alle!“ – und das macht mich wirklich nervös! Ich mag es, nach dem Gig mit Leuten zu reden, davor macht es mich extrem nervös. Nach dem Soundcheck muss ich weg, an eine Stelle, wo es ganz still ist und ich meinen Kopf leer bekomme. Ich will nicht über Musik oder gestellte Fragen nachdenken. Ein bisschen nervös sein ist aber gut, denke ich. Der deutsche Posaunist Albert Mangelsdorff sagte immer, wenn er nicht nervös war, dann wurde es ein schlechtes Konzert. Das stimmt auf jeden Fall, denn diese Nervosität hält dich aufmerksam. Allerdings nur, wenn man sie unter Kontrolle behalten kann ... Und das fällt mir schwer. Normalerweise gehe ich nach dem Soundcheck weg und bleibe nicht mal mit meinen Musikern zusammen. Die bringen mich sonst nur dazu, über die Musik nachzudenken. Ich gehe in ein Restaurant, komme erst in letzter Minute zurück und tauche meine Hände in warmes Wasser. Ich bewege nur meine Hände im warmen Wasser. Wenn die Feuchtigkeit in meinen Fingerspitzen ist, fühlt sich die Gitarre besser an. Vor dem Gig spiele ich also nicht mehr, weil ich offen für spontane Ideen sein möchte.

Ich frage mich, ob deine Synth-Axe noch lebt.

Ja, erstaunlicherweise immer noch. Ich warte auf den Tag, an dem sie sich nicht mehr anschalten lässt. Bis jetzt hatte ich Glück. Im Laufe der Jahre hatte ich drei oder vier dieser Instrumente, jetzt ist nur noch eine übrig. Die nehme ich daher auch nirgendwo mit hin. Ich habe sie früher viel eingesetzt, und da ich jetzt Angst habe, dass sie verendet, setze ich sie höchstens noch in 20 % meiner Musik ein. Ich möchte nicht zu abhängig von ihr werden. Weißt du, die Synth Axe hat fast die E-Gitarre für mich zerstört. Ich wollte eine Zeitlang nur noch Synth Axe spielen. Dann gab es Probleme mit dem Hersteller, es gab Streit mit dem Vertrieb und die Firma ging pleite. Ich war sehr depressiv deswegen und habe alle verkauft, weil ich nicht an einem Instrument kleben bleiben wollte. Nach drei Monaten wurde ich komplett verrückt und organisierte eine neue, für die ich ein paar Gitarren eintauschte. Jetzt bleibt sie im Studio.

Hast du denn schon über Ersatz nachgedacht, über etwas neuere Systeme wie etwa die Roland-V-Guitar?

Ich habe schon eine V-Guitar, eine alte und eine ziemlich neue. Und ich besitze auch einen Roland-Controller, für den Fall, dass die Synth Axe wirklich mal kaputt geht.

Eine ganz andere Frage: Django Reinhardt wurde vor 100 Jahren geboren. Was für einen Einfluss hatte er auf deine Art Gitarre zu spielen?

Er hatte großen Einfluss! Ich habe zwar nie versucht ihn zu kopieren, weil ich mehr Zeit investierte, Charlie Christian zu studieren, dennoch war Django wichtig für mich. Ich habe alle Django-Reinhardt-Platten und jeder Gitarrist sollte eine große Sammlung seiner Musik haben. Alles war großartig an ihm: tolle Musik, starker Charakter ...

Wer hat dich sonst beeinflusst? Gibt es heute Gitarristen oder andere Instrumentalisten, die dich inspirieren?

Eigentlich inspiriert mich alles. Ich versuche, die Sachen, die ich mag, *rauszupicken*, egal, ob aus Jazz, Klassik oder Rock. Manchmal höre ich mir meine alten Klassikplatten an, Ravel, Debussy und Aaron Copland. Manchmal zerstört mich das regelrecht, dann fallen mir die Augen raus, weil es so großartig ist ... Aber diese Art von Inspiration mag ich auch. Ich mag Sachen, die dich etwas fühlen lassen, egal was.

Wer macht denn heute gute Musik?

Da gibt es so viele tolle Musiker, ich bin immer peinlich berührt, wenn ich einen nenne und den anderen vergesse.... Ich mag Tim Miller, ich mag James Moore, wenn er seine eigenen Sachen macht, mehr die JazzSachen , nicht so sehr das Fusion-Zeug. Ich mag Kurt Rosenwinkel, der ist unglaublich. Ich schätze Django Bates, ich mag Gary Husband am Klavier. Pat Metheny, John McLaughlin, John Scofield und einen, den ich immer vergesse, weil man ihn nicht mehr in erster Linie als Gitarristen sieht: George Benson! Er ist unglaublich... Es ist wie bei Nat King Cole, bei George Benson denkt man auch mehr an den Sänger als an den Instrumentalisten.

Was sind deine Pläne und Projekte?

Meine letzte Studioplatte liegt mittlerweile zehn Jahre zurück. Das war ,The Sixteen Men Of Tain‘. Das Problem war, dass ich durch ein paar persönlich schwierige Phasen gegangen bin. Ich habe mein Studio verloren und es dauerte eine Weile, bis ich wieder alles beieinander hatte. Ich habe meinen Agenten gewechselt, und der neue hat mich so auf Trab gehalten, dass ich dauernd unterwegs war. Dabei habe ich drei Alben voll mit neuem Material fertig zu Hause liegen! Und jetzt habe ich meinem Agenten gesagt, er soll einen Moment stoppen, mich zu booken, weil ich Zeit brauche, das alles fertigzustellen. Zwei Drittel des Materials sind schon fertig, alles komponiert und mit drei verschiedenen Bands aufgenommen, mit Jimmy Johnson und Gary Husband, Jimmy und Chad und Ernest Tipps und Joel Taylor. Es wird eine Mischung dieser drei Bands. Vielleicht mache ich eine Doppel-CD, ich weiß es noch nicht. Oder es werden drei verschiedene CDs.

Wird das neuen Album auf deinem eigenen Label erscheinen?

Die erste CD schulde ich Steve Vais FavoredNations-Label. Alle anderen wären meine Sache. Am Anfang war ich gegen das ganze Internet-Marketing, ich dachte, dass alles dadurch immer weiter kaputt gemacht wird. Aber ich musste meine Meinung ändern, offensichtlich ist es doch nicht so schlecht, weil man so alles selbst unter Kontrolle haben kann.

Fast alles; denn Menschen, die sich unfair bereichern, wird es immer geben. Es kann doch nicht angehen, dass auf freien Download-Portalen CDs schon vor dem Release-Datum angeboten werden?

Die ganzen Bootleg-Geschichten gehören da auch mit zu. Viele meiner Bootlegs, illegale Live-Mitschnitte, kommen aus Australien, die zerreißen uns Musiker ... Wir haben einen Gig in Italien gespielt und draußen gab es T-Shirts mit unseren Köpfen und Bootleg-CDs mit unserer Musik – alles komplett illegal. Diese Typen machen Geld und wir kriegen gar nichts!

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

Equipment

Allan Holdsworth spielt und bewirbt Instrumente von Carvin Guitars; die Carvin HF2 und HF2 Fatboy wurden nach seinen Vorstellungen konzipiert. Live spielt er aber auch immer noch Gitarren von Bill DeLap, einem Instrumentenbauer aus Monterey. Er verwendet 1mm-starke Dunlop-Plektren und LaBella-Saiten (.008er und .009er-Sätze). Verstärkt wird mit Amps von Yamaha (DG80 112) und auch den Hughes-&Kettner-Modellen TriAmp MKII und ZenTera. Momentan arbeitet Holdsworth bevorzugt mit Yamaha-Magicstomp-Effekten; er verwendet mehrere dieser Pedale parallel: eins für Chorus-, eins für Echo-Sounds und ein drittes für Amp-Sounds; gelegentlich kommen weitere Magicstomps für zusätzliche Effekte (Distortion, Pitch-Shifting, etc.) hinzu. Noch ein Tipp: Über den Artikel-Download auf www.gitarrebass.de findet man zehn weitere Interviews, Workshops, Features etc. die seit 1987 in G&B zum Thema Holdsworth erschienen sind.■